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In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück

Titel: In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück
Autoren: Kerstin Gier
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– und plumpste auf den Bürgersteig, weil ich vergessen hatte, dass es hier eine kleine Stufe gab.
    Ja, und hier lag ich nun.
    Ich kam nicht allein wieder hoch. Nicht etwa, weil ich mir etwas gebrochen hätte. Mir tat auch nichts weh. Ich fühlte mich einfach nur wie ein Stück nasse Seife. Aber seltsamerweise war es lustig, jedenfalls musste ich die ganze Zeit vor mich hinkichern.
    Und jetzt war ja auch dieser nette Idiot vorbeigekommen, um mir zu helfen.
    »Hörst du mich überhaupt?« Er war schon zum Du übergegangen, obwohl ich noch keinen Ton gesagt hatte. »Soll ich einen Krankenwagen rufen?«
    O Gott. Das fehlte noch. Unter normalen Umständen würde die Sache anfangen, mir peinlich zu werden. »Natürlich höre ich Sie. Ich bin nur betrunken, nicht taub. Ziemlichbetrunken. Ich meine, ich habe versucht, am Mond zu lecken. Sieht er nicht aus wie ein Zitronenbonbon?«
    Der Mann sah mich eine Weile unschlüssig an. »Ich helfe dir hoch, wenn du versprichst, mir nicht auf die Schuhe zu kotzen.«
    »Das ist nur fair«, sagte ich und lachte. Es klang ein bisschen eingerostet, aber es war eindeutig ein Lachen. Ein Hoch auf den Rotwein!
    Noch vor ein paar Wochen habe ich gar nicht gewusst, was für eine wunderbare Wirkung Wein auf die Stimmung hat. Ich hatte nie mehr als ein Glas getrunken, und auch das nur, weil ich nicht zugeben wollte, dass ich den Geschmack von Wein nicht besonders schätzte, egal wie teuer und besonders er auch sein mochte. Duft von reifen Pflaumen, Fruchtaromen, gut eingebundene Tannine, mineralisch im Abgang, blablabla. Mittlerweile war ich davon überzeugt, dass es den kultivierten Weintrinkern in der Mehrzahl gar nicht um den Geschmack ging, sondern auch nur um die Wirkung. Dieses ganze Drumherum war doch nur ein Alibi, um sich kultiviert den Kopf zuzuknallen.
    Aber es hatte was.
    Und wenn einer Grund hatte, sich den Kopf zuzuknallen, dann ich. Ich war sechsundzwanzig Jahre alt und vor vier Wochen Witwe geworden. Und vor drei Wochen hatte mich der Bruder meines Mannes auf die Herausgabe einer »großen Girandole in vergoldeter Bronze«, einer »vergoldeten Schnupftabaksdose mit Schildplattdeckeleinsatz und figürlich graviertem Perlmuttdekor« und eines 6-Parteien-Mietshauses in Düsseldorf-Carlstadt verklagt.
    Unter anderem.
    Wenn das kein Grund für ein gepflegtes Besäufnis war, dann wusste ich es aber auch nicht.
    Scheiß Gleichgewicht.
    »Hätten Sie gewusst, was eine Girandole ist?«
    Der nette Idiot antwortete nicht. Er zog mich hoch und stellte mich auf die Beine. In meinem Kopf musste sich alles neu sortieren. Es fühlte sich nicht so an, als würde es gelingen. Ich hatte Mühe, die Augen offen zu halten. Und in meinem Magen rumorte es, als hätte ich ein Alien verschluckt.
    »Weißt du eigentlich, wie viele Gehirnzellen bei so einem Besäufnis absterben?«
    »Ich hab genug davon«, sagte ich.
    Der Mann sah mich streng an. »Zwei-, dreimal, und du hast dich um den Schulabschluss gesoffen.«
    Ich musste wieder lachen. » Ich bin hier nich’ die Dumme. Ich weiß, was eine Girandole is! ’n scheiß Kerzenständer is’ das.« Eine Haarsträhne fiel mir ins Gesicht, und ich strich sie hinter mein Ohr. »Man lernt überhaupt viel, dieser Tage. Hätten Sie zum Beispiel gewusst, dass es zu einer Urne auch noch eine Überurne gibt? Ich kann Ihnen eine zeigen, ich habe eine besonders schöne in meinem Zimmer stehen.«
    »Wohnst du weit von hier?«
    Ah, der junge Mann schien Interesse an einer Besichtigung zu haben. »Na ja, Sie sollten aber nicht zu viel erwarten. Sieht ein bisschen aus wie die Suppenterrine, die meine Eltern von meiner Großtante Elfriede geerbt haben. Ich frage mich, ob es extra Überurnendesigner gibt, oder ob das dieselben Leute sind, die Suppenterrinen entwerfen.«
    Der Mann schaute mich nur an. Ich konnte seinen Blick schwer deuten, aber ein bisschen angeekelt sah er schon aus. Ich grinste ihn breit an.
    »Sie verstehen mich gar nicht, was? Ich nuschele viel zu sehr, ich weiß, kann mich selber kaum verstehen, macht aber nichts, ist irgendwie lustig, fast so, als ob ich polnisch redenwürde, was? Das kann ich nämlich auch. Cholera, ale mi sie˛ chce rzygac´. «
    »Wo wohnst du?«
    »Das war nicht die Adresse. Das war Polnisch und heißt: ›Scheiße, mir ist schlecht.‹ Interessiert Sie nicht, was?« Ich zeigte auf Mimis Haustür. »Is’ nich’ weit, aber im Augenblick kommt es mir so vor.«
    Das musste man dem Mann lassen: Er war sehr ritterlich. Er packte
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