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In Tödlicher Mission

In Tödlicher Mission

Titel: In Tödlicher Mission
Autoren: Ian Fleming
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am wenigsten anstößige und harmloseste Getränk bestellen, das es gab, und Bond bestellte immer das Gleiche – einen Americano – Bitter Campari, Cinzano, ein großes Stück Zitronenschale und Sodawasser. Beim Sodawasser bestand er stets auf Perrier, weil teures Sodawasser seiner Meinung nach die günstigste Methode war, einen schlechten Drink zu verbessern.
    Wenn Bond in Paris war, wählte er immer dieselbe Adresse. Er wohnte im Terminus Nord, weil er Bahnhofhotels mochte und weil es das bescheidenste und anonymste unter ihnen war. Er aß im Café de la Paix, dem Rotonde oder dem Dôme zu Mittag, weil das Essen dort gut genug war und es ihm Freude bereitete, die Menschen zu beobachten. Wenn er einen ordentlichen Drink wollte, ging er in Harry’s Bar, weil die Drinks dort wirklich gut waren und weil er bei seinem ersten Besuch in Paris im unerfahrenen Alter von sechzehn genau das getan hatte, was Harrys Werbeanzeige in der
Continental Daily Mail
verlangte, und seinem Taxifahrer »Sank Rü Do No« als Ziel genannt hatte. Damit hatte einer der denkwürdigsten Abende seines Lebens begonnen, der mit dem – fast gleichzeitigen – Verlust seiner Unschuld und seiner Brieftasche endete. Zum Abendessen ging Bond in eines der großen Restaurants – das Véfour, das Caneton, das Lucas-Carton oder das Cochon d’Or. Ganz gleich, was der Michelinführer über das Tour d’Argent, das Maxims und dergleichen behaupten mochte, diese Restaurants hatten es seiner Meinung nach irgendwie geschafft, den Makel der Spesen und des Dollars zu vermeiden. Außerdem zog er die dortige Küche vor. Nach dem Essen ging er normalerweise zum Place Pigalle, um zu sehen, was sich noch ergeben würde. Wenn wie üblich nichts passierte, spazierte er quer durch Paris zum Gare du Nord, ging in sein Hotel und legte sich schlafen.
    An diesem Abend beschloss Bond, aus seiner langweiligen Routine auszubrechen und sich mal richtig zu amüsieren. Nach einem schrecklich schiefgelaufenen Auftrag an der österreichisch-ungarischen Grenze war er auf der Durchreise nach Paris gekommen. Er hatte einen gewissen Ungarn außer Landes bringen sollen. Bond war extra aus London geschickt worden, um die Operation über den Kopf des Leiters der Station V hinweg zu befehligen. Das hatte der Wiener Station nicht sonderlich gefallen. Es hatte Missverständnisse gegeben – absichtliche. Der Mann war im Minenfeld an der Grenze getötet worden. Es würde ein Untersuchungsverfahren geben. Bond sollte am folgenden Tag zurück im Londoner Hauptquartier sein, um seinen Bericht abzuliefern, und der Gedanke daran deprimierte ihn. Der heutige Tag war so nett gewesen – einer dieser Tage, an denen man fast glauben konnte, dass Paris schön und fröhlich war –, und Bond hatte beschlossen, der Stadt noch eine letzte Chance zu geben. Er würde irgendwo eine Frau auftreiben, die eine richtige Frau war, und er würde sie zum Abendessen an irgendeinen Fantasieort im Bois ausführen, wie den Pavillon d’Armenonville. Um den gierigen Blick auf sein Geld aus ihren Augen zu waschen – denn der würde zweifellos vorhanden sein –, würde er ihr so bald wie möglich fünfzigtausend Franc geben und sagen: »Ich schlage vor, dass ich dich Donatienne oder möglicherweise auch Solange nenne, denn das sind Namen, die zu meiner Stimmung und zu diesem Abend passen. Wir kennen uns von früher, und du hast mir dieses Geld geliehen, weil ich damals knapp bei Kasse war. Hier hast du es wieder, und jetzt werden wir einander erzählen, was wir so gemacht haben, seit wir uns zum letzten Mal vor einem Jahr in St. Tropez begegnet sind. In der Zwischenzeit werfen wir einen Blick auf die Speisekarte, und du musst dir etwas aussuchen, das dich glücklich und dick macht.« Sie würde erleichtert sein, dass sie sich nicht mehr verstellen musste, und sie würde lachen und sagen: »Aber James, ich will nicht dick werden.« Und so würden sie dasitzen und den Mythos von »Paris im Frühling« genießen, und Bond würde nüchtern bleiben und Interesse an ihr und allem, was sie sagte, zeigen. Und, bei Gott, es würde nicht seine Schuld sein, wenn sich am Ende des Abends herausstellen sollte, dass an dem alten, grauen Märchen von »einer guten Zeit in Paris« kein Körnchen Wahrheit war.
    Während er im Fouquets saß und auf seinen Americano wartete, musste Bond über seine Verbitterung lächeln. Er wusste, dass er nur mit dieser Fantasie spielte, weil er sich davon die Befriedigung erhoffte, dieser Stadt, die
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