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In Tödlicher Mission

In Tödlicher Mission

Titel: In Tödlicher Mission
Autoren: Ian Fleming
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er seit dem Krieg von ganzem Herzen hasste, einen letzten Tritt versetzen zu können. Seit 1945 hatte er keinen einzigen glücklichen Tag mehr in Paris verbracht. Es war nicht die Tatsache, dass die Stadt ihren Körper verkauft hatte. Viele Städte hatten das getan. Aber ihr Herz war ebenfalls verschwunden – verpfändet an die Touristen, die Russen, die Rumänen, die Bulgaren und den ganzen Abschaum dieser Welt, der die Stadt nach und nach übernommen hatte. Und natürlich war sie auch an die Deutschen verpfändet worden. Man konnte es in den Augen der Menschen sehen – trotzig, neidisch, beschämt. Architektur? Bond schaute über das Pflaster auf die glänzenden schwarzen Reihen aus Autos, die die Sonne schmerzhaft hell reflektierten. Auf der Champs-Élysées war es überall das Gleiche. Es gab nur zwei Stunden, in denen man die Stadt sehen konnte – zwischen fünf und sieben Uhr morgens. Nach sieben wurde sie von einem donnernden Strom aus schwarzem Metall überschwemmt, gegen den keines der schönen Gebäude und keiner der großzügigen, mit Bäumen gesäumten Boulevards ankam.
    Der Kellner stellte das Tablett klappernd auf dem Marmortisch ab. Mit einer flüssigen einhändigen Bewegung, deren Nachahmung Bond nie gelungen war, öffnete er die Flasche Perrier. Der Mann schob die Rechnung unter den Eisbehälter, gab ein mechanisches »
Voilà, M’sieur
« von sich und eilte davon. Bond schaufelte etwas Eis in seinen Drink, füllte das Glas bis zum Rand mit Sodawasser auf und nahm einen großen Schluck. Er lehnte sich zurück und zündete sich eine Laurens Jaune an. Natürlich würde der Abend in einer Katastrophe enden. Selbst wenn er die passende Frau innerhalb der nächsten Stunde fand, würde der Inhalt keinesfalls der Verpackung entsprechen. Bei näherem Hinsehen würde sich herausstellen, dass sie die grobporige Haut der französischen Bourgeoisie hatte. Das blonde Haar unter der verwegenen Baskenmütze aus Samt würde an den Wurzeln braun und insgesamt so drahtig wie Klaviersaiten sein. Der Pfefferminzduft ihres Atems würde den Knoblauchgestank vom Mittag nicht überdecken können. Die attraktive Figur würde umständlich durch Draht und Gummi gestützt sein. Sie würde aus Lille stammen und ihn fragen, ob er Amerikaner sei. Und, so dachte Bond und lächelte in sich hinein, sie oder ihr Zuhälter würden vermutlich seine Brieftasche stehlen.
La ronde!
Er würde wieder da stehen, wo er angefangen hatte. Mehr oder weniger jedenfalls. Ach, zum Teufel damit!
    Ein verbeulter schwarzer Peugeot 403 brach aus dem steten Fluss des Verkehrs aus, fuhr durch die innere Spur aus Autos und manövrierte an den Bürgersteig, um dort in zweiter Reihe zu parken. Das übliche Quietschen der Bremsen ertönte, gefolgt von Hupen und Gebrüll. Eine junge Frau stieg unbeeindruckt aus dem Wagen, achtete nicht weiter auf das Verkehrschaos und stolzierte zielstrebig über den Bürgersteig. Bond setzte sich auf. Sie hatte alles, wirklich alles, was zu seiner Fantasie gehörte. Sie war groß, und obwohl ihre Figur von einem leichten Regenmantel verborgen wurde, versprachen die Art, wie sie sich bewegte, und ihre Körperhaltung, dass sie wunderschön sein musste. In ihrem Gesicht lagen eine Fröhlichkeit und ein Draufgängertum, die zu ihrem Fahrstil passten, doch momentan strahlten die zusammengepressten Lippen Ungeduld aus, und ihre Augen zuckten unruhig, während sie sich diagonal durch die sich bewegende Menge auf dem Bürgersteig zwängte.
    Bond beobachtete sie mit zusammengekniffenen Augen, als sie den Rand der Tischreihen erreichte und den Gang hinabkam. Natürlich war es hoffnungslos. Sie war hier, um sich mit jemandem zu treffen – ihrem Liebhaber. Sie war die Sorte Frau, die immer zu jemandem gehörte. Sie war spät dran. Deswegen war sie so in Eile. Was für ein Pech – alles stimmte, sogar das lange blonde Haar unter der verwegenen Baskenmütze! Und sie sah ihn direkt an. Sie lächelte ...!
    Bevor Bond sich zusammenreißen konnte, war die Frau an seinen Tisch gekommen, hatte einen Stuhl zurückgezogen und Platz genommen.
    Sie erwiderte seinen überraschten Blick mit einem recht angespannten Lächeln. »Tut mir leid, dass ich zu spät bin, aber ich fürchte, wir müssen sofort weiter. Sie werden im Büro erwartet.« Im Flüsterton fügte sie hinzu: »Alarmtauchen.«
    Bond zwang sich in die Realität zurück. Wer immer sie sein mochte, sie kam zweifellos von der »Firma«. »Alarmtauchen« war ein Jargonbegriff, den der
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