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In Liebe, Rachel

In Liebe, Rachel

Titel: In Liebe, Rachel
Autoren: Lisa Higgins
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derart beständige Stromzufuhr sie und Dr. Mwami in hektische Betriebsamkeit versetzen. Sie würden die Defibrillatoren aufladen, den tragbaren Ultraschallscanner ausgiebig einsetzen und die Frau ausfindig machen, die eine Gallenblasenoperation benötigte, während der Elektrokardiograph noch arbeitete – bevor eine Sicherung herausflog, Regen die Kabel kurzschloss oder eine Herde wandernder Elefanten einen Generator niedertrampelte.
    Doch hier, konfrontiert mit deprimierend verlässlicher Stromversorgung, wünschte Sarah sich ein Gewitter. Der Bildschirm blinkte unerbittlich. Und trotz der Papierstapel auf dem Schreibtisch leuchtete Rachels kleiner weißer Umschlag so hell wie der Mond in einer Nacht in Burundi.
    Wovor hast du Angst, Sarah?
    Vor der Wahrheit, Rachel. Vor der hässlichen, hässlichen Wahrheit.
    Sarah griff nach der Tasse mit Orangenblütentee und wärmte ihre Handflächen daran. Vierzehn Jahre lang war sie dieser Situation ausgewichen. Vierzehn Jahre, die sie in gesegneter – und gewollter – Ignoranz verbracht hatte. Deshalb konnte Rachels Letzter Wille auch zu wirklich überhaupt nichts nütze sein: Sarah sollte Dr. Colin O’Rourke ausfindig machen, Friedenscorps-Freiwilliger, begnadeter Chirurg, leidenschaftlicher Aktivist – und der einzige Mann, den Sarah je wirklich geliebt hatte.
    Sie schloss die Augen … und erinnerte sich.
    Sie lagen unter einem Moskitonetz, immer noch schwer atmend. Vor der Hütte lärmten die Insekten Paraguays, flogen gegen das strohgedeckte Dach und füllten die Luft in Schwärmen. Nachtvögel kreischten im Urwald hinter ihnen. Sarah war sich sicher, das Grollen eines Jaguars gehört zu haben.
    So anders war es hier als in der Gegend, in der sie aufgewachsen war. Sie erinnerte sich an die vom Schnee gedämpften Nächte in Vermont. Hier dagegen pulsierte die Luft vor Leben.
    Und so fühlte sie sich auch – pulsierend vor Leben –, als sie mit dem Kopf an Colins Schulter dalag und bewundernd zusah, wie sich seine muskulöse Brust im Schein des Mondlichts hob und senkte. Sie fuhr mit den Fingern seine Muskeln nach. Pectoralis major. Musculus intercostalis externus. Obliques. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, warum Dr. Colin O’Rourke sich für sie entschieden hatte, ein seltsames kleines Mädchen von der Farm auf seinem ersten Auslandseinsatz.
    Sarah setzte ihre Tasse so heftig ab, dass der Tee auf ihre Hand spritzte. Er roch übelkeiterregend süß. Ihr Freund Tim – der Besitzer des Apartments – besaß eine tadellos funktionierende Kaffeemaschine, doch es gab keine einzige Kaffeebohne in der gesamten Wohnung, weshalb sie diesen abscheulichen Kräutertee trinken musste. Sie sprang auf, ging durch den Perlenvorhang, der die Küche vom Wohnzimmer trennte, goss das Gebräu in den rostigen Ausguss und murmelte eine Entschuldigung für ihren abwesenden Gastgeber, weil sie ein so undankbarer Gast war.
    Der Computer wartete, ein blauer Geist im Nebenzimmer, der bereit war für die Enthüllung, dass Dr. Colin O’Rourke mittlerweile ein kahl werdender Proktologe in Kansas war oder ein Dermatologe in Tupelo, der in seiner Freizeit Marathon lief, Mitglied im Golfclub war, vier Kinder und einen reinrassigen Shih Tzu namens Porgy hatte.
    Vielleicht auch eine entzückende Frau.
    Sarah umfasste den Spülbeckenrand mit den Händen. Warum konnte Rachel ihr nicht diese kleine Schrulle lassen? Wem schadete es denn? Hatte nicht jeder jemanden oder etwas, das man zwischen sich und die rauhe Wirklichkeit hielt, wie ein Stück rosafarbenes Glas? Sarah hätte sich am liebsten zusammengerollt und diese Erinnerung an ihre Brust gedrückt wie die letzte aus einer Schachtel mundgeblasener Weihnachtsbaumkugeln, etwas Glitzerndes und Wunderschönes – und in akuter Gefahr zu zersplittern.
    Eine Möglichkeit gab es noch. Sie konnte vorgeben, den Brief noch nicht erhalten zu haben. Das wäre gar nicht so abwegig. So viel wussten Jo und Kate: Die Post in Burundi glich dem vierzig Jahre alte Volkswagen, den man dem Camp gespendet hatte. Ab und zu funktionierte er sogar – zur großen Verwunderung aller. Die meiste Zeit allerdings war das nicht der Fall. Sie konnte ihre Aufgabe noch monatelang oder gar Jahre aufschieben.
    Doch trotz allzu vieler Jahre, die sie in den Krisengebieten dieser Welt verbracht hatte, vermochte Sarah die Pfarrerstochter in sich nicht abzuschütteln. Sie konnte nicht lügen, und sie wollte auch nicht zugeben, ein Feigling zu sein.
    Nun, allein
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