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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht
Autoren: Anne Holt
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Nacht, in der Hedvig ermordet worden war, in dem Gebiet zwischen Pipervika und Vippetangen aufgehalten hatte. Er habe nur ein wenig schwarzgebrannten Alkohol absetzen wollen. Den Namen seines Kunden wollte er nicht nennen.
    Wenige Stunden nach seiner Festnahme konnte die Polizei eine lange zurückliegende Anzeige wegen Exhibitionismus ausgraben. Aksel war damals achtzehn gewesen und hatte nach eigener Aussage »einfach im Suff pissen« wollen, an einem Sommerabend am Ingierstrand. Drei Mädchen waren vorbeigekommen. Er habe sich nur einen Jux machen wollen, sagte er. So einen Besoffenenjux. Er sei doch nicht so einer. Er habe sich nicht entblößt, sondern sich nur mit drei hysterischen Mädels einen Scherz erlaubt.
    Die Anzeige wurde danach nicht weiterverfolgt, aber auch nicht aus dem Register gelöscht. Und nun erhob sie sich als zornbebender Zeigefinger aus der Vergessenheit, als Stigma, das er für getilgt gehalten hatte.
    Als sein Name in den Zeitungen veröffentlicht wurde, in fetten Schlagzeilen, die Aksels Mutter 1956 am Tag vor Heiligabend in den Selbstmord trieben, gingen bei der Polizei drei weitere Anzeigen ein. Die eine wurde totgeschwiegen, nachdem der Staatsanwaltschaft aufgegangen war, daß diese Frau mittleren Alters jedes Jahr eine Vergewaltigung anzeigte. Die anderen beiden wurden ausgiebig weiterverfolgt.
    Margrete Solli, neunzehn Jahre, war drei Monate mit Aksel zusammengewesen. Sie hatte ihre festen Prinzipien. Was Aksel geärgert hatte, wie sie errötend und mit gesenktem Blick gestand. Mehr als einmal hatte er sich erzwungen, was nur in der Ehe erlaubt war.
    In Aksels Version stellte sich diese Geschichte ein wenig anders dar. Er erinnerte sich an wunderschöne Nächte am Sognsvann, mit kichernden Protesten und leichten Klapsen auf seine Hände, die sich über nackte Haut stahlen. Er erinnerte sich an heiße Abschiedsküsse und seine eigenen halbherzigen Versprechungen der Ehe, wenn er nur erst seine Gesellenprüfung bestanden habe. Er erzählte der Polizei und dem Gericht von einer jungen Frau, die zwar ein wenig überredet werden mußte, aber auch nicht mehr als alle anderen, so sind die Frauenzimmer doch, solange sie noch keinen Ehering tragen, nicht wahr?
    Die dritte Anzeige stammte von einer Frau, die Aksel Seier, wie er sagte, unbekannt war. Die Vergewaltigung, die man ihm vorhielt, lag schon viele Jahre zurück, das Opfer war damals vierzehn gewesen. Aksel protestierte energisch. Er habe sie noch nie im Leben gesehen. Darauf bestand er während der neunwöchigen Untersuchungshaft und den langen, quälenden Prozeß hindurch. Er habe diese Frau nie gesehen. Und ihren Namen habe er auch noch nie gehört.
    Aber er tischte doch so viele Lügen auf.
    Als Anklage erhoben wurde, nannte Aksel endlich den Kunden, der ihm ein Alibi verschaffen sollte. Der Mann hieß Arne Frigaard und hatte zwanzig Flaschen guten Schwarzgebrannten für fünfundzwanzig Kronen das Stück erstanden. Als die Polizei das nachprüfte, fanden sie einen verdutzten Oberst der norwegischen Armee in seiner Villa vor. Oberst Frigaard verdrehte empört die Augen angesichts dieser frechen Unterstellung und führte die beiden Beamten zu seinem Barschrank. Der enthielt nur edle Spirituosen. Seine Frau sagte zwar sehr wenig, nickte jedoch, als ihr lautstarker Gatte beteuerte, an diesem Abend zu Hause gewesen zu sein, um seine Migräne zu pflegen; er sei früh zu Bett gegangen.
    Inger Johanne strich sich über den Nasenrücken und nippte an ihrem kalten Tee.
    Nichts wies darauf hin, daß irgendwer die Geschichte des Oberst genauer untersucht hätte. Trotzdem ahnte sie eine Ironie oder vielleicht eher eine sarkastische Distanz in der trockenen Art, in der der Richter den Bericht der Polizei wiedergegeben hatte. Der Oberst selbst wurde vor Gericht nicht vernommen. Er leide wirklich unter Migräne, behauptete ein Arzt, der damit seinem langjährigen Patienten die Peinlichkeit ersparte, vor Gericht als Abnehmer von billigem Fusel bloßgestellt zu werden.
    Inger Johanne fuhr zusammen, als sie ein Geräusch aus dem Schlafzimmer hörte. Selbst nach all diesen Jahren, diesen fünf Jahren, in denen alles so viel besser gegangen war – das Kind schlief in der Regel tief und gesund die Nacht durch und war vermutlich nur ein wenig erkältet –, lief es ihr beim leisesten Räuspern, beim schwächsten, schläfrigsten Husten eiskalt den Rücken hinunter. Jetzt war es wieder still.
    Ein Zeuge fiel ihr besonders auf. Evander Jakobsen war
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