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In glücklichen Umständen

In glücklichen Umständen

Titel: In glücklichen Umständen
Autoren: Diane Cooper
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ich das Gefühl, nun auch alle restlichen Herausforderungen bestehen zu können. Ich versuchte mich zu erinnern, wo und wann ich Kip das letzte Mal gesehen hatte, aber er war ein so unaufdringlicher, einfacher Hund, daß man ihn leicht als Selbstverständlichkeit nahm.
    Der Stausee trat fast über die Ufer, und ich mußte sehr vorsichtig am Rand entlanglaufen, um nicht hineinzurutschen. Der Wind peitschte in mein blau angelaufenes Gesicht, und aus der Nähe betrachtet, sah alles düster und drohend aus. Warum hatte ich es je für schön gehalten? Aus der Nähe wurden die freundlichen Kräuselungen zu gierig züngelnden Wellen, und unheimliche Mächte schwangen ihr Zepter.
    Ein Stück weiter am Ufer stand eine kleine Hütte unter ein paar Bäumen, die von Arbeitern als Zuflucht benutzt wurde. Sie war kaum mehr als ein Unterschlupf, aber dort fand ich Kip, ein Bild des Jammers, klitschnaß, den zotteligen Kopf auf schlammbedeckten Pfoten ruhend. Der lange, dichte Pony hing in traurigen Strähnen, und die braunen Augen blickten unsäglich verzweifelt. Er bewegte sich nicht, als ich mich hinkniete und mein müdes Haupt an seines legte und versuchte, tröstende Worte zu finden, weil neben ihm, naß und schmutzig, aber ordentlich zusammengefaltet, die Jacke seines Herrn lag.
    Ich blieb lange, lange Zeit dort an seiner Seite und vergaß das Wetter, denn nun mußte ich einer größeren Katastrophe ins Auge sehen. Nach einer Weile schien er sich meiner bewußt zu werden, meiner Person, meines Schluchzens und meiner Erschöpfung, denn er wandte langsam den Kopf und leckte mich im Gesicht. Dann war es, als nehme er die Angelegenheit in die Hand. Er rappelte sich ungelenk auf, schüttelte sich ein- oder zweimal und betrachtete lange das, was von seinem einzigen Lebensinhalt geblieben war. Sein Kopf hing tief runter, und das Ende seines Schwanzes lag auf der durchweichten Erde. Und dann kam er zu mir zurück und blieb neben mir stehen und wartete, daß auch ich mich wieder rührte.
    So brachte Kip mich nach Haus. Nun war er entschlossen, sich um jemanden zu kümmern, der töricht genug war, bei dem schrecklichen Wetter auf der Erde zu kauern, weil er sich, wie er nun wußte, Gedanken um seinen Herrn gemacht hatte wie er selbst. Ich glaube, daß er in jenem Moment das neue Bündnis einging, das bis zu seinem Tod dauern sollte.
    Er drängte mich zart, ihm zum Tor zu folgen, sah geduldig zu, wie ich schwerfällig darüberkletterte, und zwängte sich dann mühelos zwischen zwei Gitterstäben hindurch. Er war so dünn, dünner als damals, als er zu uns gekommen war, und ich fragte mich, wie lange er dort gewesen sein mochte und wann sein Herr in das tiefere Wasser hinausgewatet war und wie Kip es gewußt hatte und hundert andere Dinge, die immer unbeantwortet bleiben würden. Wir brauchten sehr lange, um wieder zum Haus zu kommen, und jeder war dabei mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Hatte ich mich ein wenig in den tragischen jungen Mann verliebt, der in mein Leben getreten war, einen Platz in meinem Herzen eingenommen hatte, in meinen Gedanken gegenwärtig geblieben war, um dann stumm, traurig und für immer zu verschwinden? Warum sonst machte es mir soviel aus? Was Kip betraf, so richtete er sein Augenmerk nun darauf, mich sicher heimzubringen, und als wir in der warmen Küche waren und ich ihn frottierte und zu etwas warmer Milch mit Brandy überreden konnte, benutzte ich die Gelegenheit, um den nassen Vorhang vor seinen Augen zu stutzen. Ich wußte, daß er sich fügte, um mir einen Gefallen zu tun, nicht aus irgendwelchen persönlichen Gründen. Nur Futter wurde traurig zurückgewiesen.
    Der Rest des Tages tröpfelte zäh dahin. Die anderen Hunde wahrten Distanz, obgleich sie neugierig zu sein schienen, aber sie begriffen, daß nun Takt und Stille geboten waren. Komisch, wie Kips Augen jetzt aussahen, dachte ich, während ihr Blick mir durch die Küche folgte. Sie waren plötzlich anders. Nicht nur, weil sie so lange versteckt gewesen waren, sie schienen auch heller, klarer und aufmerksamer zu sein als früher, wenn ich den Pony zur Seite gestrichen hatte, um sie zu betrachten. Der Pony, sagte ich mir, würde nachwachsen, natürlich würde er. Doch während ich im Schaukelstuhl schaukelte, hoffte ich, er würde nicht - und seltsamerweise tat er es auch nie. Aber Kips Augen änderten sich; sie blickten sanfter, weniger gequält. Erst Tage später ging mir auf, daß die Augen, die mich beobachteten, manchmal mit einem
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