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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen
Autoren: Jon Krakauer
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unseriöse Firmen es versäumt, die vertraglich zugesicherten, entscheidenden Hilfsmittel zu liefern – wie zum Beispiel Sauerstoff. Bei manchen Expeditionen sind Bergführer ohne ihre zahlenden Kunden zum Gipfel losgezogen, woraus diese den bitteren Schluß zogen, daß sie nur dabeisein durften, um für die Kosten aufzukommen. 1995 brannte gar ein Leiter einer kommerziellen Expedition mit Zigtausenden Dollars seiner Kunden durch, bevor die Reise überhaupt losging.
    Im März 1995 bekam ich einen Anruf von einem Redakteur von
Outside.
Er schlug vor, daß ich mich einer geführten Everest-Expedition anschließen solle, die in fünf Tagen losgehen würde. Ich sollte einen Artikel über die überhandnehmende Kommerzialisierung des Berges und die sich daran entzündenden Kontroversen schreiben. Ich müßte dafür nicht selber den Gipfel besteigen. Die Idee der Redakteure war, daß ich einfach im Basislager bliebe, um die Story vom östlichen Rongbuk-Gletscher am Fuße der tibetanischen Seite des Berges aus zu recherchieren. Ich zog das Angebot ernstlich in Erwägung und ging sogar so weit, einen Flug zu buchen und mir die erforderlichen Impfungen verpassen zu lassen – und machte dann aber im letzten Moment einen Rückzieher.
    In Anbetracht der Verachtung, die ich über die Jahre hinweg gegenüber dem Everest an den Tag gelegt hatte, sollte man fast annehmen, daß ich aus prinzipiellen Gründen ablehnte. Ehrlich gesagt hatte der Anruf von
Outside
jedoch ganz überraschend eine starke, lang verschüttete Sehnsucht in mir geweckt. Ich schlug den Job allein deshalb aus, weil ich genau wußte, wie unerträglich frustrierend es wäre, zwei Monate im Schatten des Everest zu verbringen, ohne jemals über das Basislager hinauszugelangen. Wenn ich schon ans andere Ende der Welt reisen und acht Wochen fern von Frau, Heim und Herd verbringen sollte, dann nur, wenn ich die Möglichkeit hatte, den Berg auch zu besteigen.
    Ich fragte Mark Bryant, den Redakteur von
Outside,
was er davon hielte, den Auftrag um ein Jahr zu verschieben (damit ich genügend Zeit hätte, mich in Form zu bringen für die physischen Anforderungen der Expedition). Darüber hinaus wollte ich wissen, ob die Zeitschrift bereit sei, mich bei einer der seriöseren Bergführungsunternehmen anzumelden – und die 65000 Dollar teure Gebühr zu übernehmen –, um eine faire Chance zu haben, den Gipfel tatsächlich zu erreichen. Ich ging nicht wirklich davon aus, daß er diesen Bedingungen tatsächlich zustimmen würde. Ich hatte in den vergangenen fünfzehn Jahren mehr als sechzig Artikel für
Outside
geschrieben, und nur selten hatten die Reisespesen für einen dieser Aufträge die Summe von 3000 Dollar überstiegen.
    Bryant unterhielt sich mit dem Verleger von
Outside
und rief einen Tag später zurück. Er sagte, daß die Zeitschrift nicht bereit sei, 65 ooo Dollar auf den Tisch zu legen. Trotzdem seien er und die anderen Redakteure der Meinung, daß die Kommerzialisierung des Everest ein wichtiges Thema sei. Falls es mir wirklich ernst damit sei, den Berg zu besteigen, dann könne er mir versichern, daß
Outside
schon einen Weg finden würde, es zu realisieren.
    In den dreiunddreißig Jahren, in denen ich mich Bergsteiger nenne, habe ich ein paar schwierige Touren hinter mich gebracht. In Alaska habe ich am Mooses Tooth eine ziemlich knifflige neue Route gelegt, außerdem habe ich eine Alleinbesteigung des Devils Thumb zuwege gebracht, bei der ich unter anderem drei Wochen allein auf einem gottverlassenen Gletscher zubrachte. Ich hatte eine Reihe ziemlich extremer Eisklettertouren in Kanada und Colorado hinter mir. In der Nähe der Südspitze von Südamerika, wo der Wind übers Land fegte wie »der Besen Gottes« –
»la escobe de Dios«,
wie die Einheimischen sagen –, hatte ich einen furchterregenden, fast zwei Kilometer hohen Spitzfelsen aus senkrechtem, teilweise überhängendem Granit namens Cerro Torre erklettert. Von Winden mit knapp zweihundert Stundenkilometern Stärke gepeitscht, mit graupeligem Anraum überzogen, galt er einmal (jedoch mittlerweile nicht mehr) als der schwierigste Berg der Welt.
    Aber diese verrückten Abenteuer lagen viele Jahre zurück, in manchen Fällen sogar Jahrzehnte, als ich um die Zwanzig, Dreißig war. Inzwischen war ich einundvierzig, weit über meine Kletterblütezeit hinaus, mit einem angegrauten Bart, schlechtem Zahnfleisch und fünfzehn Pfund zuviel um die Hüften. Ich war mit einer Frau verheiratet, die ich wahnsinnig
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