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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Jodi Picoult
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Sie über vorsätzlichen Totschlag?«
    »Nicht schuldig.«
    Hinter ihm wurde allgemeines Murmeln laut, ein überraschtes Geflüster, das wie Wind in einem Pappelwald klang. Der Richter fuhr fort: »Beruht Ihr Urteil darauf, daß der Angeklagte zur Tatzeit nicht zurechnungsfähig war?«
    »Jawohl«, bestätigte der Sprecher.
    Graham packte Jamies Arm fester.
    »Dauert diese Unzurechnungsfähigkeit noch an?«
    »Nein.«
    Nein. Jamie sah Graham an, ein blödes, dämliches Grinsen auf dem Gesicht, und umarmte seinen Anwalt dann so fest, daß Graham vom Boden hochgehoben wurde. Im Gerichtssaal brach ein Tumult aus. Jamie spürte Allies Hände weich und unmißverständlich auf seinen Sakkorücken klopfen.
    Der Richter donnerte mit dem Hammer auf den Tisch. »Ich danke Ihnen für die aufgebrachte Zeit und Mühe«, sagte er zu den Geschworenen. Dann wandte er sich an Jamie. »Der Angeklagte ist frei und kann gehen.«
    Eine Horde von Reportern stürzte sich auf Grahams Platz der Verteidigung, nur durch die Absperrung zum Zuschauerbereich gebremst. Sie streckten Jamie ihre Mikrophone unter die Nase, blendeten ihn mit Blitzlichtern und schleuderten Fragen auf ihn ab, die er mit einer Hand abfing und in der Faust zusammenknüllte: Wie fühlen Sie sich jetzt? Glauben Sie, daß dieses Urteil Folgen für andere Euthanasie-Fälle haben wird? Was wollen Sie jetzt machen?
    Audra drängte sich durch die Journalisten, um Graham die Hand hinzustrecken. »Gute Arbeit«, gab sie zu. Ihr Gesicht war verkniffen, die Miene wie festgefroren.
    Graham schüttelte ihre Hand und sah, wie Audra von der Menge verschlungen wurde. Dann entdeckte er seinen Vater. Duncan MacPhee drängte sich nicht zu ihm vor, doch er kletterte auf eine Zuschauerbank, wo Graham ihn deutlich sehen konnte. So blieb er stehen, zu voller Größe aufgerichtet, die Straßenschuhe passend zu seinem italienischen Anzug. Er hob die Hand, hielt einen Daumen nach oben und grinste.
    Jamie achtete kaum auf die Fragen, mit denen ihn die Reporter bombardierten. Er mußte immerzu an den Tag vor mehreren Monaten denken, an dem er auf Kaution freigekommen war und auf der Fahrt zu Angus' Haus den Ballon über Darby Macs Maisfeld hatte schweben sehen. Herzliche Glückwünsche hatte darauf gestanden, und er hatte es auf sich bezogen.
    Jetzt beugte er sich zu Graham hinüber. »Ich brauche jemanden, der mich heimbringt«, bat er sichtlich bewegt. »Das zahle ich Ihnen extra.« Er gab seinem Anwalt einen Schlag auf die Schulter und erklärte ihm, er sei solange draußen. Dann ging er durch den Mittelgang zur Tür und verschwand aus dem Gerichtsgebäude, um heimlich zu einem kleinen blattlosen Obstbaum hinter den Mülltonnen abzutauchen, wo Maggie bereits auf ihn wartete.
    Allie und Cam hatten Jamie nach der Urteilsverkündung nicht mehr sprechen können; doch Cam erklärte ihr, daß Jamie im Augenblick ohnehin zu aufgewühlt wäre und daß sie ihn später anrufen oder besuchen konnten. Er holte die Autoschlüssel aus seiner Tasche – sie waren in seinem heruntergekommenen Zivilstreifenwagen hergefahren –, doch Allie pflückte sie ihm aus der Hand. »Ich fühl' mich so wahnsinnig positiv«, sagte sie. »Laß mich fahren!«
    Infolgedessen saß er in seinem eigenen Auto auf dem Beifahrersitz, den er ganz nach hinten geschoben hatte. »… mach nur mal eben die Augen zu«, erklärte er, doch in nicht einmal zehn Sekunden war er eingeschlafen.
    Er träumte von Mia. Er stand in seiner Haustür, während sie ihm von der Einfahrt her zuwinkte. Es war Winter, und sie trug einen tieflila Wollmantel, der zu ihren Augen paßte und so bezaubernd aussah, daß Cam einfach den Blick nicht abwenden konnte. Um nicht zu ihr hinauszulaufen, umklammerte er den Türknauf fester.
    Dann stand Allie neben ihm, in einem Pullover, den er ihr letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte. Sie hielt die Arme vor der Brust verschränkt. »Du läßt die ganze Wärme raus«, beklagte sie sich und wollte die Tür schließen.
    Cam spürte, wie sein Herz raste. Sie war nahe genug, um Mia sehen zu können, aber es kam ihr gar nicht in den Sinn, hinauszuschauen. Statt dessen versuchte sie, die Tür zuzudrücken. »Ich mache das schon« sagte er und ließ die Tür nach einem letzten Blick auf Mia ins Schloß fallen.
    Als das geschah, merkte er, daß es nicht die schwere Eichentür war, die er selbst damals ausgesucht hatte. Die neue Tür war mit einer Isolierung und einem Fenster aus neun Milchglasscheiben in der Mitte
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