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In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition)
Autoren: Charlotte Rogan
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den Leuten Angst. Sie sollten so etwas nicht sagen.« Ein anderes Mal wandte sie sich direkt an Mr Hardie: »Sie sollten sich gut überlegen, wie Sie der Welt gegenübertreten.«
    »Der Welt!«, höhnte Hardie. »Die Welt weiß nicht, dass ich existiere.«
    »Eines Tages wird sie es wissen«, gab Greta zurück. »Und eines Tages wird sie über Sie urteilen.«
    »Das überlassen wir den Historikern!«, rief Hoffman, woraufhin Hardie in den aufkommenden Wind lachte und schrie: »Noch sind wir nicht Geschichte, bei Gott! Noch sind wir nicht Geschichte!«
    Ich glaube, Greta war Mrs Grants erste Anhängerin. Ich hörte, wie die Jüngere zur Älteren sagte: »Wenn sie sich nicht um die Welt scheren, glauben Sie dann, sie scheren sich um Gott? Gott ist allmächtig. Gott sieht alles.« Mrs Grant erwiderte: »Er ist ein Mann. Die meisten Männer denken, sie seien Gott.« Später sah ich, wie sie Greta beruhigend die Hand auf den Arm legte und flüsterte: »Überlassen Sie Mr Hardie nur mir.«
    Im Boot saßen drei italienische Frauen und die Gouvernante namens Maria, die alle kein Englisch sprachen. Die Italienerinnen trugen schwarze Umhänge und hatten sich vorn im Bug aneinandergekauert. Ihr Gebaren wechselte zwischen völliger Stille und unvermittelten Ausbrüchen in einer hektisch klingenden, unverständlichen Sprache, als würde etwas, was nur sie sehen konnten, in solchen Augenblicken überkochen. Maria war auf dem Weg nach Amerika, wo sie für eine Familie in Beacon Hill arbeiten wollte. Sie befand sich die ganze Zeit am Rande eines Nervenzusammenbruchs, aber ich konnte kein Mitleid für sie aufbringen. Selbst die mitfühlendsten unter uns Frauen spürten, dass ein Mangel an Selbstbeherrschung eine große Gefahr für uns alle darstellte. Anfangs versuchte ich noch, sie mit den wenigen spanischen Worten, derer ich mächtig war, zu beruhigen, aber jedes Mal wenn ich sie ansprach, krallte sie ihre Hände in meine Kleidung, stand dann auf und wedelte wild mit den Armen. Irgendwann wurden wir es leid, sie ständig wieder auf ihren Sitz zu ziehen, und wir ignorierten sie, so gut wir konnten.
    Ich muss gestehen, dass mir in den Sinn kam, wie leicht es wäre, mich zu erheben und vorzugeben, ihr helfen zu wollen, sich wieder hinzusetzen, dabei gegen sie zu fallen und sie aus dem Boot zu schieben. Sie saß an der Reling, und ich dachte, dass wir ohne sie und ihre Anfälle viel besser dran wären. Ich betone ausdrücklich, dass ich nichts dergleichen tat. Ich erwähne es nur, um klarzumachen, wie schnell sich der Horizont des menschlichen Vorstellungsvermögens in einer solchen Lage erweitern kann und dass ein Teil von mir den Gedankengang nachvollziehen konnte, der Mr Hoffman zu seinem Vorschlag bewog, das Boot leichter zu machen. Und einmal ausgesprochen, bekam man einen solchen Vorschlag nicht mehr aus dem Kopf. Doch statt meine Gedanken in die Tat umzusetzen, tauschte ich mit Maria den Platz, sodass sie, sollte sie das Gleichgewicht verlieren, auf Mary Ann oder mich fallen würde und nicht aus dem Boot.
    Jetzt war ich eine derjenigen, die an der Reling saßen und mit Wasser bespritzt wurden, während die Ruderer versuchten, unsere Position gegen die Strömung zu behaupten. Nachdem ich lange darüber nachgedacht hatte, streckte ich die Hand aus und berührte das Wasser. Es war sehr kalt und schien verführerisch an meinen Fingern zu zupfen. Aber dieses Phänomen hatte nichts mit dem Wasser selbst zu tun, eher mit der Bewegung unseres kleinen Bootes durch die Wellen. Und vielleicht auch mit meiner Einbildung.

Dritter Tag
    Am dritten Tag hatten wir den Schock weitgehend überwunden. Marias Pupillen schrumpften wieder auf ihre normale Größe, und einmal zog sie für den kleinen Charles, der zwischen den Rockfalten seiner Mutter hervorlugte, eine lustige Grimasse. Wir waren weit genug gefahren, dass von irgendwelchen Wrackteilen nichts mehr zu sehen war. Vielleicht hatten wir uns auch nicht von der Stelle gerührt, und es waren die Überreste des Schiffs, die abgetrieben waren. Jedenfalls war von der Zarin Alexandra nichts übrig geblieben. Wir allein legten Zeugnis ab, dass sie jemals existiert hatte. Ich dachte an sie, wie ich oft über Gott nachgedacht hatte – als etwas, das für alles verantwortlich war, das man aber nicht sehen konnte; etwas, das es vielleicht gar nicht mehr gab, zersplittert auf den spitzen Felsen seiner eigenen Schöpfung.
    Der Diakon behauptete, der Schiffbruch hätte seinen Glauben an Gott gestärkt,
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