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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land
Autoren: Ernest Hemingway
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kam herein, und als sich die Tür öffnete, konnte ich den Schnee fallen sehen.
    «Jetzt, wo es schneit, wird es keine Offensive mehr geben», sagte ich.
    «Sicher nicht», sagte der Major. «Du solltest Urlaub nehmen. Du solltest nach Rom fahren, nach Sizilien -»
    «Er sollte nach Amalfi fahren», sagte der Leutnant. «Ich schreib dir Empfehlungskarten an meine Familie in Amalfi. Sie werden dich wie ihren eigenen Sohn aufnehmen.»
    «Er muß nach Palermo.»
    «Er sollte nach Capri gehen.»
    «Ich wünschte, Sie gingen in die Abruzzen und besuchten dort meine Familie in Capracotta», sagte der Priester.
    «Hör ihn dir mal an, mit seinem Gerede über die Abruzzen. Dort ist ja mehr Schnee als hier. Er will doch keine Bauern sehen. Er muß mitten rein in Kultur und Zivilisation.»
    «Schöne Mädchen soll er haben. Ich werde dir die richtigen Adressen in Neapel geben. Schöne junge Mädchen - von ihren Müttern begleitet. Ha! Ha! Ha!» Der Hauptmann spreizte seine Hand, den Daumen nach oben und die Finger auseinander, so wie wenn man Schattenbilder machen will. Seine Hand warf einen Schatten auf die Wand. Wieder redete er Idioten-Italienisch. «Du gehst weg so», er zeigte auf den Daumen, «und zurück kommst du so», er berührte seinen kleinen Finger. Alle lachten. «Seht her», sagte der Hauptmann. Er spreizte die Hand von neuem. Wieder warf das Kerzenlicht einen Schatten an die Wand. Er begann mit dem aufgerichteten Daumen und bezeichnete dann in der Reihenfolge den Daumen und die vier Finger: «Sotto-tenente (der Daumen), tenente (der Zeigefinger), capitano (der nächste Finger), maggiore (der Ringfinger) und tenente-colonello (der kleine Finger). Geh weg, sotto-tenente! Komm wieder, sotto-colonello!» Alles lachte. Der Hauptmann hatte großen Erfolg mit seinen Fingerspielen. Er sah den Priester an und rief : «Jede Nacht Priester fünf gegen einen. » Alles lachte wieder.
    «Du mußt sofort auf Urlaub gehen», sagte der Major.
    «Ich käme gern mit, um dir alles zu zeigen», sagte der Leutnant.
    «Wenn du zurückkommst, bring ein Grammophon mit.»
    «Und gute Opernplatten.»
    «Was von Caruso.»
    «Nur nicht Caruso, der blökt ja.»
    «Du möchtest wohl nicht so blöken können wie der, nein?»
    «Er blökt; ich sage, er blökt.»
    «Ich wünschte, Sie gingen in die Abruzzen», sagte der Priester.
    Die anderen schrien durcheinander. «Dort gibt's gute Jagd. Die Leute würden Ihnen gefallen, und wenn's auch kalt ist - es ist doch klar und trocken. Sie könnten bei meiner Familie wohnen. Mein Vater ist ein berühmter Jäger.»
    «Kommt los», sagte der Hauptmann, «auf ins Bordell, bevor man schließt.»
    «Gute Nacht», sagte ich zu dem Priester.
    «Gute Nacht», sagte er.

03
    Als ich an die Front zurückkam, lagen wir immer noch in derselben Stadt. In der Umgebung gab es jetzt viel mehr Artillerie, und der Frühling war da. Die Felder waren grün, und es gab kleine grüne Schößlinge an den Weinstöcken; die Bäume entlang den Chausseen hatten kleine Blätter, und von der See her kam eine Brise. Ich sah die Stadt mit dem Hügel und dem alten Schloß darüber in einer Einbuchtung in den Hügeln mit den Bergen dahinter, braune Berge mit ein wenig Grün auf den Abhängen. In der Stadt waren mehr Kanonen, es gab einige neue Lazarette, man traf Engländer und hin und wieder auch Engländerinnen auf der Straße, und noch ein paar Häuser waren von Granaten getroffen worden. Es war warm und frühlingshaft, und ich durchschritt die Baumallee, die durch die Sonne, die gegen die Mauer schien, erwärmt wurde, und sah, daß wir immer noch in demselben Haus wohnten und daß alles noch genauso aussah, wie ich es verlassen hatte. Die Tür war offen, ein Soldat saß draußen auf einer Bank in der Sonne, ein
    n Sanitätsauto wartete am Nebeneingang und i nen roch es, als ich hineinging, nach Marmorfußboden und Lazarett. Es war alles genauso, wie ich es verlassen hatte, nur daß es jetzt Frühling war. Ich sah in das große Zimmer hinein, in dem der Major an seinem Schreibtisch saß; das Fenster war offen, und das Sonnenlicht kam ins Zimmer. Er bemerkte mich nicht, und ich wußte nicht recht, sollte ich hineingehen und mich zurückmelden oder erst hinaufgehen und mich in Ordnung bringen. Ich beschloß hinaufzugehen.
    Das Zimmer, das ich mit Leutnant Rinaldi teilte, ging auf den Hof. Das Fenster war offen, mein Bett war mit meinen Wolldecken zurechtgemacht, und meine Sachen hingen an der Wand, die Gasmaske in einer ovalen
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