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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land
Autoren: Ernest Hemingway
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manchmal auch auf der Straße, und daß das Ganze auf dem Carso gutging, gab diesem Herbst ein ganz anderes Gesicht als dem vorigen, im offenen Gelände. Auch der Krieg war ganz anders.
    Der Eichenwald auf dem Berg jenseits der Stadt war fort. Der Wald war grün gewesen, als wir im Sommer in die Stadt eingerückt waren, und nun war nichts übrig als geborstene Stümp fe und zerspaltene Stämme und der aufgerissene Boden, und eines Tages, im Spätherbst, als ich draußen war, dort, wo einst der Eichenwald gewesen war, sah ich eine Wolke über den Berg kommen. Sie kam sehr schnell, und die Sonne wurde ein fahles Gelb, und dann war alles grau, und der Himmel bedeckte sich, und die Wolke kam den Berg hinab, und plötzlich waren wir mitten drin, und es war Schnee. Der Schnee trieb schräg vor dem Wind her, der kahle Boden war bedeckt, die Baumstümpfe ragten daraus hervor, der Schnee lag auf den Kanonen, und es liefen Wege durch den Schnee zurück zu den Latrinen hinter den Schützengräben.
    Später, unten in der Stadt, beobachtete ich, wie der Schnee fiel, als ich aus dem Fenster des Offiziersbordells sah, wo ich mit einem Freund und zwei Gläsern saß und eine Flasche Asti trank, und als wir so den Schnee draußen schwer und langsam niedersinken sahen, wußten wir, daß es für dieses Jahr vorbei war. Flußaufwärts die Berge waren nicht erobert worden; keiner der Berge jenseits des Flusses war genommen worden. Das blieb alles für nächstes Jahr. Mein Freund sah den Priester unseres Kasinos unten auf der Straße vorsichtig im Schmutz watend vorübergehen und hämmerte gegen das Fenster, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Der Priester blickte auf. Er sah uns und lächelte. Mein Freund machte ihm ein Zeichen hereinzukommen. Der Priester schüttelte den Kopf und ging weiter. An demselben Abend im Kasino nach dem Spaghettigericht, das man sehr schnell und ernsthaft verzehrte, indem man die Spaghetti entweder mit der Gabel hochhob, bis die losen Enden klarhingen und sie dann in den Mund herabließ, oder sonst sie dauernd hochhielt und in den Mund einsaugte und sich zwischendurch aus der umflochtenen Vier-Liter-Flasche mit Wein versorgte - sie schwang in einer metallenen Wiege, und man drückte den Hals der Flasche mit dem Zeigefinger herab, und der Wein floß dann klar, rot, würzig und herrlich in das Glas, das man in derselben Hand hielt -, nach diesem Gang begann der Hauptmann den Priester aufzuziehen. Der Priester war jung und errötete leicht und trug wie wir anderen eine Uniform, jedoch mit einem Kreuz aus dunkelrotem Samt über der linken Brusttasche seiner grauen Jacke. Der Hauptmann sprach - eine sehr zweifelhafte Wohltat für mich - Idioten-Italienisch, damit ich nur ja alles verstände und mir nichts verlorenginge.
    «Priester heute bei Mädchen», sagte der Hauptmann und sah den Priester und mich dabei an.
    Der Priester lächelte, errötete und schüttelte den Kopf. Dieser Hauptmann zog ihn oft auf.
    «Stimmt nicht?» fragte der Hauptmann. «Heute habe ich Priester mit Mädchen gesehen.»
    «Nein», sagte der Priester. Die anderen Offiziere amüsierten sich über die Stichelei.
    «Priester nicht mit Mädchen», fuhr der Hauptmann fort. «Priester niemals mit Mädchen», erklärte er mir. Er nahm mein Glas und füllte es. Er sah mich dabei die ganze Zeit an, ließ aber auch den Priester nicht aus den Augen.
    «Priester jede Nacht fünf gegen einen.» Alle am Tisch lachten.
    «Verstehen Sie? Priester jede Nacht fünf gegen einen.» Er machte eine Gebärde und lachte laut auf. Der Priester nahm es als Scherz hin.
    «Der Papst will, daß die Österreicher den Krieg gewinnen», sagte der Major. «Er liebt Franz Joseph. Da kommt's Geld nämlich her. Ich bin Atheist.»
    «Hast du mal Das schwarze Schwein gelesen?» fragte der Leutnant. «Ich besorg dir ein Exemplar. Das hat meinen Glauben erschüttert.»
    «Es ist ein schmutziges und widerliches Buch», sagte der Priester. «Eigentlich gefällt es Ihnen auch nicht.»
    «Es ist sehr aufschlußreich», sagte der Leutnant. «Man erfährt was von diesen Priestern. Es wird dir gefallen», sagte er zu mir.
    Ich lächelte dem Priester zu, und er lächelte durch das Kerzenlicht zurück. «Lesen Sie's nicht», sagte er.
    «Ich besorg's dir», sagte der Leutnant.
    «Alle denkenden Menschen sind Atheis ten», sagte der Major. «Aber von den Freimaurern halte ich nicht viel.»
    «Ich halte was von den Freimaurern», sagte der Leutnant. «Das ist eine edle Gemeinschaft.» Jemand
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