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In der Strafkolonie

In der Strafkolonie

Titel: In der Strafkolonie
Autoren: Franz Kafka
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wirkliche Schrift umzieht den Leib nur in
    einem schmalen Gürtel; der übrige Körper ist für Verzierungen
    bestimmt. Können Sie jetzt die Arbeit der Egge und des ganzen
    Apparates würdigen? — Sehen Sie doch!« Er sprang auf die Lei-
    ter, drehte ein Rad, rief hinunter: »Achtung, treten Sie zur Sei-
    te!«, und alles kam in Gang. Hätte das Rad nicht gekreischt, es
    wäre herrlich gewesen. Als sei der Offizier von diesem störenden
    Rad überrascht, drohte er ihm mit der Faust, breitete dann, sich
    entschuldigend, zum Reisenden hin die Arme aus und kletterte
    eilig hinunter, um den Gang des Apparates von unten zu be-
    obachten. Noch war etwas nicht in Ordnung, das nur er merk-
    te; er kletterte wieder hinauf, griff mit beiden Händen in das
    Innere des Zeichners, glitt dann, um rascher hinunterzukom-
    men, statt die Leiter zu benutzen, an der einen Stange hinunter
    und schrie nun, um sich im Lärm verständlich zu machen, mit
    äußerster Anspannung dem Reisenden ins Ohr: »Begreifen Sie
    den Vorgang? Die Egge fängt zu schreiben an; ist sie mit der er-
    sten Anlage der Schrift auf dem Rücken des Mannes fertig, rollt
    die Watteschicht und wälzt den Körper langsam auf die Seite,
    um der Egge neuen Raum zu bieten. Inzwischen legen sich die
    wundbeschriebenen Stellen auf die Watte, welche infolge der
    besonderen Präparierung sofort die Blutung stillt und zu neuer
    Vertiefung der Schrift vorbereitet. Hier die Zacken am Rande
    der Egge reißen dann beim weiteren Umwälzen des Körpers die
    Watte von den Wunden, schleudern sie in die Grube, und die
    Egge hat wieder Arbeit. So schreibt sie immer tiefer die zwölf
    Stunden lang. Die ersten sechs Stunden lebt der Verurteilte fast
    wie früher, er leidet nur Schmerzen. Nach zwei Stunden wird
    der Filz entfernt, denn der Mann hat keine Kraft zum Schrei-
    en mehr. Hier in diesen elektrisch geheizten Napf am Kopfende
    wird warmer Reisbrei gelegt, aus dem der Mann, wenn er Lust
    hat, nehmen kann, was er mit der Zunge erhascht. Keiner ver-
    säumt die Gelegenheit. Ich weiß keinen, und meine Erfahrung
    ist groß. Erst um die sechste Stunde verliert er das Vergnügen
    am Essen. Ich knie dann gewöhnlich hier nieder und beobachte
    diese Erscheinung. Der Mann schluckt den letzten Bissen selten,
    er dreht ihn nur im Mund und speit ihn in die Grube. Ich muß
    mich dann bücken, sonst fährt er mir ins Gesicht. Wie still wird
    dann aber der Mann um die sechste Stunde! Verstand geht dem
    Blödesten auf. Um die Augen beginnt es. Von hier aus verbreitet
    es sich. Ein Anblick, der einen verführen könnte, sich mit unter
    die Egge zu legen. Es geschieht ja weiter nichts, der Mann fängt
    bloß an, die Schrift zu entziffern, er spitzt den Mund, als hor-
    che er. Sie haben gesehen, es ist nicht leicht, die Schrift mit den
    Augen zu entziffern; unser Mann entziffert sie aber mit seinen
    Wunden. Es ist allerdings viel Arbeit; er braucht sechs Stunden
    zu ihrer Vollendung. Dann aber spießt ihn die Egge vollständig
    auf und wirft ihn in die Grube, wo er auf das Blutwasser und die
    Watte niederklatscht. Dann ist das Gericht zu Ende, und wir, ich
    und der Soldat, scharren ihn ein.«
    Der Reisende hatte das Ohr zum Offizier geneigt und sah, die
    Hände in den Rocktaschen, der Arbeit der Maschine zu. Auch
    der Verurteilte sah ihr zu, aber ohne Verständnis. Er bückte sich
    ein wenig und verfolgte die schwankenden Nadeln, als ihm der
    Soldat, auf ein Zeichen des Offiziers, mit einem Messer hinten
    Hemd und Hose durchschnitt, so daß sie von dem Verurteilten
    abfielen; er wollte nach dem fallenden Zeug greifen, um seine
    Blöße zu bedecken, aber der Soldat hob ihn in die Höhe und
    schüttelte die letzten Fetzen von ihm ab. Der Offizier stellte die
    Maschine ein, und in der jetzt eintretenden Stille wurde der
    Verurteilte unter die Egge gelegt. Die Ketten wurden gelöst und
    statt dessen die Riemen befestigt; es schien für den Verurteilten
    im ersten Augenblick fast eine Erleichterung zu bedeuten. Und
    nun senkte sich die Egge noch ein Stück tiefer, denn es war ein
    magerer Mann. Als ihn die Spitzen berührten, ging ein Schauer
    über seine Haut; er streckte, während der Soldat mit seiner rech-
    ten Hand beschäftigt war, die linke aus, ohne zu wissen wohin;
    es war aber die Richtung, wo der Reisende stand. Der Offizier
    sah ununterbrochen den Reisenden von der Seite an, als suche er
    von seinem Gesicht den Eindruck abzulesen, den die Exekution,
    die er ihm nun wenigstens
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