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In der Oase

In der Oase

Titel: In der Oase
Autoren: Pauline Gedge
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Amtsstab mit der goldenen Spitze. Die jungen Priester zu seiner Seite trugen Weihrauchgefäße, und unversehens stieg der Familie, als sie sich vor ihm verneigte, der beißende Geruch von Myrrhe in die Nase. Ahmose, der bislang geschwiegen und mit seinen weißen Stiefeln breitbeinig und mit ernstem Blick unter dem Rand seines Kopftuches neben seiner Schwester-Frau gestanden hatte, flüsterte jetzt Kamose zu: »Er hat weder Blut noch Milch dabei, die er uns beim Aufbruch vor die Füße spritzen könnte.«
    »Stimmt«, flüsterte Kamose zurück. »Der Bulle ist gestorben und wir müssen ohne die Milch des freundlichen Empfangs an den Sohlen unserer Sandalen aufbrechen. Mehr als den Schutz Amuns brauchen wir nicht.«
    »Kamose, ich habe Angst«, murmelte Ahmose. »Bei so viel Planung und Vorbereitung und Reden ist mir alles unwirklich vorgekommen. Aber jetzt ist die Zeit da. Heute, an diesem Morgen, in diesem hellen Sonnenschein ziehen wir los, um Ägypten den Fremdländern zu entreißen, die uns seit Hentis besetzt halten, und bislang ist mir noch immer, als ob ich träume. Ich sollte in den Sümpfen jagen und mir Hunger für das Frühstück holen, statt als Befehlshaber gekleidet von einem Heer umgeben zu sein. Sind wir toll?«
    »Falls es so ist, dann ist es die Tollheit, die auf den Ruf des Schicksals reagiert«, entgegnete Kamose, übertönt von dem Eingangsgebet des Hohen Priesters. »Und zuweilen ist das kein Ruf, Ahmose. Zuweilen ist es ein harter Befehl, und wenn wir nicht gehorchen, gehen wir unter. Man hat uns in die Enge getrieben, und es hat keinen Zweck zu wünschen, wir wären in ein sichereres, weniger turbulentes Zeitalter geboren worden. Wir müssen uns vor den Göttern beweisen, hier, jetzt, an diesem Tag, in diesem Monat. Mir ist das genauso zuwider wie dir.«
    »Ob man sich an uns als die Retter Ägyptens erinnert, oder werden wir besiegt und gehen im Dunkel der Geschichte unter?«, murmelte Ahmose mehr zu sich selbst als zu seinem Bruder, und dann richteten sie sich beide aus ihrer Verneigung auf, während sich Amunmose zu ihnen umdrehte, seinen Amtsstab ausstreckte und die Segens-und Siegesgesänge anstimmte. Die Soldaten auf den Schiffen und auf der festgetretenen Erde lagen still auf den Knien, nachdem sich Re im Osten aus dem Griff des Horizonts befreit hatte und hoch oben im Aufwind ein Falke wie ein dunkler Fleck vor seiner heißen Pracht schwebte und ihnen zusah.
    Als die Zeremonie vorbei war, dankte Kamose dem Hohen Priester, gemahnte ihn, Amun jeden Tag um Segen für das Heer anzuflehen, küsste die Mitglieder seiner Familie und wandte sich mit einem letzten Blick auf sein Haus, das sonnengebadet und beschaulich hinter Weinspalier und Palmen lag, zum Laufsteg seines Schiffes. Ahmose folgte ihm. Doch ehe Kamose hinaufgehen konnte, verspürte er etwas Kaltes an seinem Schenkel. Er blickte nach unten und Behek in die flehenden Augen. Der Hund hatte sich an Ahmose vorbeigeschoben und wartete auf die Erlaubnis, vor ihm an Bord zu hüpfen. Kamose empfand ein jähes Bedauern, er hockte sich hin, nahm den großen, weichen Kopf in die Hände und liebkoste die warmen Ohren. Seit Seqenenres Tod hatte Behek seine schlichte Zuneigung auf Kamose übertragen, tapste hinter ihm her, wohin er auch ging, und schlief am Ende des Flurs zu den Männergemächern, wo auch Kamoses Zimmer lag. Kamose hatte das verstanden, denn er teilte die Einsamkeit des Tieres. Jetzt begegnete er dem vertrauensvollen Blick und schüttelte leicht den Kopf. »Du kannst nicht mit, alter Freund«, sagte er bekümmert. »Du musst hier bleiben und auf den Rest der Familie aufpassen. Das beengte Schiff ist nichts für dich.« Er gab dem Hund einen Kuss auf die breite Stirn, stand auf und zeigte auf die Bootstreppe. »Geh nach Haus, Behek«, befahl er, und nach kurzem Zögern gehorchte Behek bekümmert und entfernte sich mit eingekniffenem Schwanz. Kamose ging, gefolgt von seinem Bruder, an Bord. Seine Hauptleute verbeugten sich, und auf seinen Wink hin brüllte Hor-Aha den Befehl, die Laufplanken einzuholen und abzulegen. Befreit von seiner Vertäuung, legte das Schiff schwerfällig von der Bootstreppe ab. Der Steuermann packte das Ruder mit beiden Händen. Kamose und Ahmose gingen ins Heck, wo ihnen die Binsen bis zur Hüfte reichten. Die anderen Schiffe folgten bereits dem ersten und versuchten, die Mitte des Stroms zu erreichen; sie hatten den Bug nach Norden gerichtet.
    Ahmose blickte hoch und Kamose, der seinem Blick folgte, sah,
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