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In der Brandung

In der Brandung

Titel: In der Brandung
Autoren: Gianrico Carofiglio
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er den Schweiß abtrocknen.
    »Ich hatte gerade das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren.«
    »Als ich Sie fragte, wann Sie das letzte Mal gesurft haben?«
    »Nicht, als Sie mir die Frage gestellt haben. Erst, als ich merkte, dass es mir nicht mehr einfällt.«
    »Wollen Sie über etwas anderes reden?«
    Roberto zögerte.
    »Nein, nein. Es geht schon wieder.«
    »Gut. Auch wenn Sie sich nicht erinnern, wann Sie das letzte Mal auf dem Brett standen, könnten wir uns darauf einigen, dass es noch in Kalifornien war?«
    »Ja, sicher. Nachdem wir Kalifornien verlassen haben, habe ich nie mehr gesurft.«
    »Wie viele Jahre ist das nun her?«
    »Das sind … über dreißig Jahre. Ich war sechzehn, als wir von dort wegzogen, meine Mutter und ich.«
    Der Doktor holte eine lange Zigarre aus einer Schublade, und dann noch ein Taschenmesser. Er schnitt die Zigarre in zwei Hälften, legte die eine davon auf die Tischplatte und spielte mit der anderen herum. Das dauerte etwa zwei, drei Minuten.
    »Gut. Das ist genug für heute.«
    Roberto hätte gern noch etwas gesagt. Aber das Ende der Sitzungen war immer ein Rätsel für ihn. Nach einem Moment der Ratlosigkeit erhob er sich und ging.

Giacomo
    Mehrere Nächte lang habe ich nichts mehr geträumt, auch wenn dieser Satz vielleicht falsch ist: In einer Zeitschrift habe ich gelesen, dass man unmöglich schlafen kann, ohne zu träumen. Wie es scheint, träumen wir jede Nacht, nur dass wir uns manchmal daran erinnern und manchmal nicht.
    Es ist also richtiger, wenn ich sage, dass ich mich nicht mehr erinnere, was ich mehrere Nächte lang geträumt habe, auch wenn es in mindestens einem Fall bestimmt keine besonders schönen Träume waren, denn ich war mit einem Gefühl von Traurigkeit aufgewacht, das ich eine ganze Weile nicht los wurde.
    Gestern Nacht jedoch war ich wieder in dem Park. Schon beim Einschlafen wurde mir klar, dass etwas passieren würde, und in der Tat fand ich mich kurz darauf auf derselben Allee in der Mitte des Parks wieder, von dem ich bereits einmal geträumt hatte.
    Scott erwartete mich schon auf einer Wiese sitzend. Er wedelte freudig, als er mich sah, und sein Schwanz fegte über das Gras. Als ich ihn streichelte, merkte ich, dass er nach Shampoo duftete und ein Halsband trug. Das hatte ich das erste Mal nicht bemerkt, oder vielleicht trug er beim ersten Mal auch keines. Wie auch immer, die Tatsache, dass Scott ein Halsband trug, freute mich, es gab mir das Gefühl, dass er wirklich mein Hund war, nicht nur irgendein freundliches Wesen, das mir zufällig über den Weg gelaufen war.
    Endlich bist du da, Chef. Ich habe schon auf dich gewartet.
    »Was machen wir jetzt, Scott?«
    Einen Spaziergang.
    Und ohne meine Antwort abzuwarten, ging er los.
    Bei diesem zweiten Besuch gelang es mir besser, mich auf meine Umgebung zu konzentrieren.
    Wie ich schon sagte, führte die Allee durch Wiesen mit ziemlich hohem Gras, das der Wind zu großen, geräuschlosen Wellen formte. An einigen Stellen bildeten sich kleine Hügel, die steil abfielen, wie an Straßenrändern oder am Saum von Bahngleisen. In der Ferne sah man einen Wald, der auch aus der Distanz ein wenig unheimlich wirkte. Von Zeit zu Zeit kamen mir Jungen und Mädchen entgegen, die meisten zu Fuß, andere auf Fahrrädern.
    Irgendwann sah ich einen See mit Wasser, das so klar war wie in einem Schwimmbad.
    »Kann man in diesem See baden, Scott?«
    Dazu ist er da, Chef.
    Ich wollte ihn schon fragen, ob wir sofort hineinspringen könnten, als ich ein Mädchen bemerkte, das uns entgegenkam. Ich erkannte sie, und mir stockte der Atem. Es war Ginevra.
    Ginevra ist meine Schulkameradin. Sie ist das hübscheste Mädchen der Klasse, mit blauen Augen, blonden Haaren und wunderschönen Grübchen in den Wangen, wenn sie lacht. Sie hat schon mehrere Freunde gehabt, alle viel älter als wir, die sie mit dem Moped von der Schule abholten.
    Im Unterricht passe ich fast nie auf. Ich lese Bücher oder Comics unter der Schulbank, zeichne, schreibe Geschichten und Sätze in mein Hausaufgabenheft, und sehr oft beobachte ich Ginevra.
    »Hallo, Giacomo, da bist du ja endlich«, sagte sie, während sie mich umarmte und auf die Wange küsste.
    Wenn Ginevra mich im normalen Leben anspricht, werde ich rot und stottere und wirke noch verlegener und tollpatschiger als sonst. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn sie mich umarmen oder gar küssen würde. Im Traum lief es besser, obwohl ich auch da sehr aufgeregt war.
    »Ist das dein
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