In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn
Anteilnahme selbstverständlich war und einer Honorierung nicht würdig. Sie war undurchsichtig.
Wir plauderten ein wenig darüber, wer wir waren und was wir machten. Ich musste etwas improvisieren, um meiner Anwesenheit in Hamburg wenigstens teilweise einen gewissen Sinn zu geben. Evelyn hingegen war eine typische Hamburger Bohemienne. Morgens schlief sie lange, nachmittags hatte sie einen Halbtagsjob im »Dark Style«, einem Laden der Leder- und Fetischkostüme verkaufte — und abends tanzte sie je nach Wochentag in drei verschiedenen Clubs.
Ich hatte mir bereits überlegt, worüber wir sprechen könnten, um keine Kunstpausen entstehen zu lassen, die nur schlechtes Licht auf mich werfen würden. Wenn Mann und Frau sich treffen und das Gespräch stockt, ist das ein ganz schlechter Start, und schuld ist immer der Mann. Auf diesem Gebiet ist die Emanzipation nicht gefragt.
Aber leider zündeten die Themen nicht. Die meiste Zeit schwiegen wir, wechselten ein paar Worte, bestellten nach dem Kaffee einen Drink. Ich witterte die Katastrophe.
Definitiv eine Frau, deren Nummer du lieber nicht mehr wählen solltest.
Dachte ich.
Doch dann sah ich hoch von meinem Latte-Macchiato-Glas. Sie lächelte mich an. Einfach so. Als wäre alles in bester Ordnung.
»Ich finde es nett, dass du mich nicht belaberst«, sagte sie und zog an ihrer langen Zigarettenspitze. »Die meisten Männer probieren das bei mir... Aber reden ermüdet mich so...«
Betreten räusperte ich mich. »Für die meisten ist Schweigen peinlich. In Japan dagegen spricht man von haragei . Sprechen durch Schweigen...«
»Beredtes Schweigen«, meinte sie. »Das gefällt mir.«
»Die Kunst des leisen Zusammenseins...«
»Du kennst dich aus mit Japan?«
Ich spielte verlegen mit dem langen, schlanken Löffel. »Ich habe ziemlich viele Mangas gelesen.«
Ich wollte immer nach Japan, aber ich hatte kein Geld. Vielleicht hatte ich einfach nur keinen Willen dafür. Oder keinen Mut? Was es auch immer war, nichts davon war bei meinem ersten Date mit Aurea förderlich.
Auf meiner Unterlippe kauend, sammelte ich meinen Mut und legte den Löffel beiseite. »Evelyn. Ich...« Nicht das sagen, was dir durch den Kopf geht! Nicht gedankenlos plappern! Nicht alles vermasseln! »Ich kenne mich nicht so aus wie du. Du findest mich sicherlich langweilig. Ich habe in meinem ganzen Leben kaum mehr als zehn Bücher gelesen, und ich hänge bei all diesen Events rum, weil ich die Leute cool finde. Aber ich verstehe von dem meisten nur Bahnhof.«
Sie schob ihre Tasse etwas beiseite und beugte sich weit über die metallische Tischplatte vor. Unsere Gesichter waren einen halben Meter entfernt.
»Und ich bin vierundzwanzig, bisexuell, unabhängig, Künstlerin, single und nicht abgeneigt.«
»Ja?«, brachte ich heraus und versuchte das trockene Schlucken zu überspielen. In meinem Hinterkopf begann es wieder einmal zu schäumen. Anscheinend stieg meine Körpertemperatur binnen Sekunden um einige Grad an.
»Wollen wir ficken?« fragte sie und klang dabei wie eine Grenzbeamtin, die nach dem Reisepass verlangt.
Hatte sie gerade ficken gesagt? Das Effektgerät in meinem Gehirn war zu diesem Zeitpunkt auf Delay + 3000 Millisekunden eingestellt.
Nun, jetzt wo sie es ansprach... Mit dem Gehorsam eines Hundes, dem man hoch über dem Kopf mit einer Scheibe Salami zuwinkt, nickte ich kurz. Verdammter Darwin.
»Dann lass uns bezahlen«, sagte sie, lehnte sich wieder zurück und zog an ihrem Zigarettenmundstück, ohne dabei die Augen von mir zu lassen. Sie meinte natürlich, dass ich bezahlen sollte.
2.03 Das Fotoalbum
Im Bett war Evelyn ökonomisch. Das mag in den meisten Fällen nicht gerade ein Kompliment sein. Doch bei ihr war das anders. Es schien, als kannte sie alle männlichen Nöte, Unsicherheiten und Überheblichkeiten auswendig. Sie fand jede einzelne davon untragbar langweilig und wollte sie gar nicht erst aufkommen lassen. Sie schob beim Sex die Hand zwischen ihren und meinen Bauch und masturbierte sich dabei mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der sie auch alles andere in ihrem Leben tat. Als sie dann kam, zog sie ihre Hand weg und schrie auf. Wellen aus reiner Energie durchfuhren ihren Körper. Ich spürte, wie stark sie war. Sie wand sich wie ein Tier, das der Gefangenschaft entkommen wollte, und presste ihre Hände gegen meine Brust. Für einen kurzen Augenblick ähnelte die Situation einer Vergewaltigung in einem japanischen Pink Movie.
Doch dann wurde
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