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In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche

In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche

Titel: In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche
Autoren: Ales Pickar
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Buch, das ich nun einzeln in meiner Hand hielt, viel zu schwer für fünfhundert Seiten Papier war. Ich schlug es auf. Die Seiten waren ausgeschnitten und innen lag eine silberne Pistole. Ich nahm sie heraus.
    Im selben Augenblick hörte ich, wie jemand die erste Zwischentür betätigte. Sie hatten offensichtlich den Strom im Zug aktiviert und gingen von Waggon zu Waggon. Die Schiebetür gab ein charakteristisches Zischen von sich, während die Metallplattform in dem Gummiwulstübergang unter den Füßen des Jägers ächzte.
    »Wenn er durch die Tür kommt, nimm ihn...«
    »Nehmen?« flüsterte ich ahnungslos und starrte auf den Game Boy, der nun auf dem Sitz lag. Auf dem Display hüpften noch immer kleine Pixelfigürchen.
    »Du musst schießen« , bestätigte Korvinian meine schlimmsten Befürchtungen.
    Ich nahm die Pistole in beide Hände und versuchte das Zittern weniger offensichtlich zu machen.
    Das zweite Zischen erklang und ich hörte, wie nun die Tür auf meiner Seite beiseitegeschoben wurde.
    »Safety catch« , sagte plötzlich Korvinian in meinem Ohr. »Die Sicherung.«
    Was er da erzählte, ergab für mich in diesem Augenblick keinen Sinn. Ich war nicht mehr befähigt, ihm zu folgen. Hektisch riss ich mich hoch und zielte auf den Mann.
    Er griff unter seine Jacke, doch dann erstarrte er, in den Lauf meiner Pistole blickend. Er wagte nicht seine eigene Waffe zu ziehen. Seine Hand löste sich und kam langsam wieder zum Vorschein.
    »Tu´s nicht«, sagte er. Ein untersetzter Typ mit leichter Glatze und einem Rollkragenpullover. Die teuere Golduhr auf seinem Handgelenk konnte ich trotz meiner Benommenheit nicht übersehen. »Wir sind nicht hier, um dir zu schaden. Es gibt aber Dinge, die du nicht verstehst. Und es ist besser...«
    »Schieß« , forderte mich der Mann in meinem Kopf auf. »Schieß!«
    Ich hätte es nicht gekonnt. Die Pistole war ohnehin nicht entsichert, und ich war bereit, ihn tagelang im Schach zu halten, nur damit ich nicht abdrücken musste.
    »Er ist nicht allein, schieß« , beharrte Korvinian.
    Erneut erklang das zweifache Zischen der Verbindungstür.
    »Er ist hier«, sagte mein Gangster emotionslos zu seinem Kollegen ohne den Blick von mir abzuwenden. »Mit´ner Wumme...«
    Dann geschah etwas seltsames.
    Der Scherge hinter ihm, von dem ich in diesem Augenblick kaum mehr als einen hochgeschlagenen Kragen seines grauen Mantels und eine flache Mütze sah, hielt dem Mann mit der goldenen Uhr etwas an den Hals, das wie ein Stift aussah. Eine dünne Klinge fuhr blitzartig heraus. Sie war vermutlich lang genug, um seinen Mundraum zu durchstoßen, bis hinein in das Gehirn. Mit einem leichten Klicken und Zischen verschwand die Klinge wieder in ihrem Griff. Mein Gegenüber brach geräuschlos zusammen.
    Der neue Spieler sah mich ausdruckslos an. Er mochte um die vierzig sein und hatte ein schmales, eher unscheinbares Gesicht, mit einem Dreitagebart. Er trug einen Anzug, darüber einen langen Mantel und eine quer über die Brust gehängte Tasche. So sah ein Banker aus, der es eilig hatte. Die Schiebermütze wirkte leicht exzentrisch, doch sie ließ ihn harmlos erscheinen.
    Ich wusste, er war nicht harmlos.
    Er trat über die Leiche hinweg und kam auf mich zu. Wortlos griff er nach der Pistole, mit der ich immer noch auf ihn zielte und nahm sie mir ab.
    »Safety catch«, sagt er ausdruckslos und klappte einen kleinen Hebel auf der Seite um. »Die Sicherung.«
    Er reichte sie mir wieder und sah aus den Fenstern.
    »Bist du Korvinian?« brachte ich endlich heraus.
    »Ich bin Tristan«, antwortete er knapp und half mir, meine Sachen in die Kuriertasche zu packen.
    »Befolge seine Anweisungen« , erklang Korvinians Stimme in meinem Kopf.
    Ich folgte Tristan in den nächsten Waggon. Er griff unter seinen Mantel und zog eine Pistole mit einem langen Schalldämpfer heraus. Ich fand, es stand ihm zu, hier den Längsten zu haben. Ich ließ zaghaft die Vorstellung an mich heran, dass ich aus dieser Sache lebend rauskommen würde.
    Hinter uns zischte warnend die Tür. Tristan drehte sich um und feuerte dreimal. Es klang als würde jemand laut ein Buch zuklappen und gleichzeitig kurz an einem Schlüsselbund rütteln. Der Unbekannte am Ende des Waggons hechelte und stürzte rückwärts in den Zwischenraum zurück.
    Tristan öffnete resolut die letzte Tür und zeigte in die Ferne.
    »Da kommt euer Zug.«
    Es war nur ein weißer Punkt über einem Geflecht aus Gleisen.
    Als ich mich umsah, schwang sich Tristan
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