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In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche

In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche

Titel: In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche
Autoren: Ales Pickar
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stellte mich in die Warteschlange vor den Kassen. Der Zug, in den wir am Hauptbahnhof einsteigen wollten, würde hier erst in fünfundzwanzig Minuten anhalten. Als ich an die Reihe kam, stieß die Girlie-Band wieder zu mir. Ich wollte für sie etwas bestellen, doch die vier drängten sich an mir vorbei und orderten routiniert alle möglichen Burger und Shakes. Die Namen von Fastfood-Produkten waren die ultimative Lingua Franca auf diesem Planeten.
    Ich selbst bestellte gar nichts. Ich empfand in diesen Stunden tausend Sachen, doch Hunger war nicht darunter.
    Während der ganzen Zeit schwieg Korvinian. In meinen Ohren knackte es manchmal nur leise.
    Erst als wir auf den abgewetzten Ledersitzen Platz nahmen, begriff ich, dass die Thailänderinnen nun auch geschminkt waren und unter diesem Schleier aus Sorge und Schmutz die ganze Zeit vier attraktive, geradezu adrette junge Damen gesteckt hatten. Plötzlich sahen sie nicht mehr wie Mädchen aus, sondern wie Frauen. Sie waren beinahe um zehn Jahre gealtert. Das war gut... Ich meine, es war gut, weil es dadurch weniger seltsam aussah. Wenn man schon einen Zug mit vier asiatischen Gören besteigt, ist es besser, wenn sie wie vierundzwanzig aussehen, anstatt wie vierzehn.
    Ich musterte sie, während sie leidenschaftlich in die lappigen Burger hineinbissen, befriedigt an den breiten Strohhalmen ihrer Colas zogen und hypnotisiert auf die Fernsehbildschirme mit Musikclips starrten.
    »Ihr seid wie ein wandelnder Werbefilm«, witzelte ich, ohne dass sie mich verstanden.
    »Du musst handeln« , unterbrach plötzlich Korvinians Stimme meine Gedanken. »Lass die Frauen allein und gehe in den Bahnhof hinein.«
    Ich stand langsam auf und versuchte natürlich zu wirken, um die kleine Viererbande nicht zu beunruhigen.
    Während ich seine Anweisung befolgte und in die kleine Bahnhofshalle trat, sah ich bereits draußen, auf den Vorplatz mehrere Autos hektisch einfahren. Die Türen wurden aufgerissen und Gestalten sprangen auf. Sie alle eilten in meine Richtung.
    »Lauf!« sagte Korvinian.
    Es gab hier nicht viele Wege zur Auswahl. So rannte ich in den langen Korridor und passierte die Treppenaufgänge zu den Bahnsteigen.
    Ich verstand, was Korvinian tat. Er sah eine gute Chance, dass die umgekleideten Thailänderinnen den Verfolgern gar nicht erst auffallen würden, da sie dort wie Touristen aus dem Fernen Osten aussahen. Und ich sollte die gesamte Aufmerksamkeit auf mich lenken. Danke für dieses Vertrauen!
    »Nimm die letzte Treppe« , wies mich Korvinian an.
    Oben kam ich auf einen leeren Bahnsteig, auf dem ein abgestellter Zug stand. Die Anzeigetafel war abgeschaltet.
    »Steig ein!«
    Ich griff nach dem roten Hebel. Der Waggon war offen und ich gab mir nicht die Mühe zu verstehen, wie Korvinian das wissen konnte, sondern kletterte hinein und schlug die Tür hinter mir wieder zu.
    Der Zug war kalt. Im Waggon roch es nach altem Leder und Gummi. Es fühlte sich unwirklich an, nun plötzlich in vollkommener Stille zu stehen. Ich ging schwer atmend an den Sitzen vorbei und blickte leicht gebückt aus dem Fenster.
    »Sie kommen« , informierte mich Korvinian freundlich.
    Ich duckte mich und kauerte auf dem Boden, zwischen zwei Sitzen — fast wie damals, als ich die Geräusche in der Kanalisation gehört hatte.
    Draußen auf dem Bahnsteig liefen die Söldner des Kerygma auf und ab und bellten sich gegenseitig irgendwelche unverständlichen Hinweise zu. Sie trugen schwarze Sakkos und Lederjacken und benahmen sich, als ob der Bahnhof ihnen gehörte. Wo ist denn die Bahnwache, wenn man sie braucht? Ich hoffte, den vier Frauen ging es gut. Vermutlich kriegten sie von all dem gar nichts mit und schlürften noch immer gemütlich Cola durch die dicken Strohhalme, während über ihnen von den Wandfernsehern MTV oder VIVA lärmte. Ich war sicher, sie konnten das stundenlang tun, ohne sich auch nur einmal zu fragen, wo ich blieb.
    Das Geräusch war unmissverständlich. Eine der Türen wurde aufgerissen. Vermutlich nur einen Waggon weiter. Meine Hand krallte sich unbewusst in die weinrote Lehne des Sitzes.
    »Deine Tasche« , erklang es in meinen Ohren.
    »Was ist damit?« gab ich gereizt mit unterdrückter Stimme zurück.
    »Hast du nicht die Bücher geprüft?«
    »Nein...«
    »Prüfe sie alle. Jetzt!«
    Bizarrer Typ, dachte ich, während ich hektisch die Kuriertasche durchwühlte. Nebenan und nur zwei Schiebetüren entfernt, durchsuchten die Jäger die Sitzreihen. Ich fühlte sofort, dass das
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