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In den Fängen der Macht

In den Fängen der Macht

Titel: In den Fängen der Macht
Autoren: Anne Perry
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Vielleicht war es nichts weiter als eine Verschiedenheit der Temperamente. Casbolt war ein weltkluger Mann mit Erfahrung und Charme. Er fühlte sich in Gesellschaft wohl und führte entspannte Unterhaltungen.
    Breeland dagegen war ein Idealist, der seine Überzeugungen nicht vergessen konnte und sich selbst nicht einmal für die Dauer eines Dinners gestattete, Frohsinn zu verspüren, da er wusste, dass andere litten. Es mochte durchaus eine merkwürdige Situation sein, sich in einer Zeit solcher Prüfung so weit von seiner Heimat entfernt und mitten unter Fremden zu befinden. Zudem fühlte er sich offensichtlich außerstande, sich Merrits Jugend und Charme zu entziehen.
    Monk hatte ein wenig Mitgefühl mit ihm. Einst war er ebenso leidenschaftlich für bedeutende Zeitfragen eingetreten, hatte gestrotzt vor Eifer, wenn es um Ungerechtigkeiten ging, die Tausende, vielleicht gar Millionen Menschen betrafen. Jetzt konnte er solche Hingabe nur noch für Individuen aufbringen. Zu oft hatte er versucht, den Lauf der Gerechtigkeit oder der Natur zu beeinflussen, und erfahren müssen, was es bedeutete, zu scheitern, während er die Stärke der Gegner kennen lernte. Er gab sich noch immer alle Mühe und litt bitterlich. Die Wut krampfte sich in seinem Innern zusammen. Dennoch konnte er sie für eine Weile vergessen und sein Herz und seinen Geist mit Genuss und Schönheit füllen. Er hatte gelernt, das Tempo seiner Schlachten zu bestimmen – wenigstens bisweilen – und die Momente der Erholung zu genießen.
    Der letzte Gang war fast beendet, als der Butler kam und zu Daniel Alberton sprach.
    »Entschuldigen Sie, Sir«, sagte er kaum lauter als im Flüsterton. »Mr. Philo Trace ist eingetroffen. Soll ich ihm sagen, Sie seien beschäftigt, oder wünschen Sie ihn zu sehen?«
    Breeland wirbelte herum, sein Körper war steif und sein Gesichtsausdruck so streng kontrolliert, dass es aussah, als wäre er zu Eis erstarrt.
    Merrit war weit weniger vorsichtig, ihre Gefühle zu verbergen. Heiß schoss die Röte in ihre Wangen, und sie funkelte ihren Vater an, als ob dieser kurz davor stünde, etwas Ungeheuerliches zu tun.
    Casbolt sah die Anwesenden entschuldigend an, aber in seinem Gesicht zeichnete sich lebhaftes Interesse ab. Monk hatte den flüchtigen Eindruck, dass es Casbolt tatsächlich wichtig war, was er dachte, aber dann verwarf er den Gedanken als lächerlich. Warum sollte er?
    Albertons Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass er den Besucher nicht erwartet hatte. Einen Moment lang wirkte er verblüfft. Fragend sah er Judith an.
    »Unbedingt«, erwiderte sie mit einem schwachen Lächeln.
    »Ich nehme an, es ist besser, Sie bitten ihn herein«, wies Alberton den Butler an. »Erklären Sie ihm, dass wir beim Dinner sitzen. Wenn er sich uns gerne bei Obst und Käse anschließen möchte, ist er sehr willkommen.«
    Während der Butler ging, herrschte betretenes Schweigen. Als er zurückkehrte, geleitete er einen schlanken, dunkelhaarigen Herrn – mit sensiblem, lebendigem Gesichtsausdruck – herein, einem Gesicht, das Gefühle widerspiegelte und dennoch vielleicht die wahren Emotionen verbarg. Er war gut aussehend, wirkte, als ob er seinen Charme freizügig verteilen würde, und trotzdem hatte er etwas schwer Fassbares und Verhaltenes an sich. Monk schätzte ihn etwa zehn Jahre älter als Breeland, und in dem Moment, als er das Wort ergriff, war es offenbar, dass er aus jenen Südstaaten stammte, die sich kürzlich von der Union getrennt hatten und mit denen die Union nun im Kriegszustand lag.
    »Guten Abend«, sagte Monk, als sie einander vorgestellt wurden und der Butler einen weiteren Stuhl gebracht und diskret ein weiteres Gedeck aufgelegt hatte.
    »Es tut mir wirklich sehr Leid«, sagte der Besucher leicht verlegen. »Ich scheine den falschen Abend gewählt zu haben. Ich hatte ganz bestimmt nicht die Absicht zu stören.«
    Einen Augenblick lang sah er Breeland an, und es war eindeutig, dass die beiden sich bereits kannten. Die Feindseligkeit zwischen ihnen knisterte förmlich in der Luft.
    »Aber das tun Sie doch nicht, Mr. Trace«, sagte Judith lächelnd. »Möchten Sie gerne etwas Obst? Oder etwas Gebäck?«
    Seine Augen weilten mit Vergnügen und einem gewissen Ernst auf ihr.
    »Danke, Ma’am. Das ist sehr großzügig von Ihnen.«
    »Mr. und Mrs. Monk sind Freunde von Lady Callandra Daviot. Ich kann mich nicht erinnern, ob Sie sie kennen gelernt haben oder nicht. Sie ist eine höchst interessante Dame.« Er ließ sich
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