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In besten Kreisen

In besten Kreisen

Titel: In besten Kreisen
Autoren: Amanda Cross
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er auf, als sei plötzlich der Teufel in ihn gefahren. »Ich weiß nicht, was heute mit euch allen los ist«, sagte Kate.
    »Ich habe nachgedacht.« »Na sowas; über wessen Probleme? Ihre, meine oder Joyces?« »Über alle, glaube ich. Kate, würde es Ihnen etwas ausmachen, die Türe zu schließen?« »Nur, wenn Sie versprechen, daß Sie sich mir jetzt nicht offenbaren«, sagte Kate.
    »Das bewahre ich mir für einen betrunkeneren Augenblick. Ich bin stets um einiges amüsanter, wenn ich betrunken bin.« »Wie jemand betont hat, bilden Sie sich nur ein, daß Sie dann amüsanter seien.« »Ich bin mit den dreißiger Jahren fertig. Mit Lingerwells Briefen, meine ich. Ich habe versucht, die Briefe nach Autoren und Jahren zu ordnen – das habe ich ja schon alles erklärt, aber diesmal habe ich mir die Briefe von Joyce besonders aufmerksam angesehen, die noch weiter in sich geordnet werden müssen. Natürlich liegen die Unterlagen hier einfach so herum – ich meine, dies ist ja kein bewachter Raum oder so…« »Emmet, so unzusammenhängend habe ich Sie noch nie reden hören. Und ich habe immer gedacht, Sie fänden in jeder Lage die richtigen Worte, den richtigen Ton…« »Sie klingen wie eine Bierwerbung.« »Aha, jetzt ist es schon besser. Sie sind also die Briefe von 1930 durchgegangen – « »Ich habe jeden Brief gelesen und versucht, den künftigen Studenten den Inhalt in groben Zügen wiederzugeben – natürlich nur zu meiner eigenen Rechtfertigung, denn die Briefe faszinieren mich, und ich könnte es nicht ertragen, sie nicht zu lesen. Gegen Ende des Jahres sind sie leichter zu entziffern, weil Joyce diktiert hat – sein Augenlicht ließ nach. Der, den ich gestern gelesen habe, war ein normaler, freundlicher Brief an Lingerwell – sie schrieben sich damals nicht mehr so häufig –, aber plötzlich steht da mitten im Brief dieser Satz. Ich werde ihn Ihnen vorlesen!« Emmet hob den Brief auf und fing langsam an zu lesen. Er räusperte sich mehrmals. Kate wußte auf einmal, wie er der Frau erscheinen mußte, die er liebte.
    Sie hatte bisher nie seine Maske fallen sehen. »›Seien Sie gespannt auf meinen nächsten Brief, mein lieber Lingerwell. Er wird in einem großen Umschlag kommen – anscheinend finden wir heute nur kleine –, und darin wird ein Versuch stecken, Ihnen für Ihre Hilfe zu danken‹.« »Ist das alles?« »Das ist alles. In dem Brief heißt es dann weiter, es gehe ihm gut, er freue sich an seinem Enkelsohn und so weiter.« »Was stand im nächsten Brief?« »Das ist es. Der ist verschwunden.« »Vielleicht war es etwas Wertvolles. Sam Lingerwell hat es herausgenommen und anderswo abgelegt.« »Das frage ich mich. Eine Menge dieser Briefe sind wertvoll, im Sinne von Geld. Aber er hat sie alle zusammen gelassen, wahrscheinlich, weil er vorhatte, sie eines Tages selber durchzugehen.
    Kate, ich habe alles über Joyce gelesen, was mir in die Finger gekommen ist, und wissen Sie, der Frau, die ihn in der Schweiz unterstützt hat, hat er zum Dank das Originalmanuskript des ›Ulysses‹ angeboten. Sie hat abgelehnt. Glauben Sie…« »Das hätte kaum in das gepaßt, was Joyce einen ›großen Umschlag‹ nennt. Außerdem glaube ich mich zu erinnern, daß irgendein berühmter Sammler es für ein nettes Sümmchen gekauft hat. Das kann es nicht sein. Emmet, wollen Sie damit sagen, daß der Umschlag gestohlen wurde?« »Ich weiß nicht.« »Wenn ihn jemand gestohlen hat, warum dann nicht auch diesen Brief, der sich darauf bezieht?« »Das ist es ja gerade. Jemand hat alles durchgesehen und ist zufällig auf den wertvollen Umschlag gestoßen, aber er hatte keine Zeit, sich um andere Hinweise zu kümmern.« »Ich glaube, Ihre Phantasie spielt Ihnen einen Streich. Vielleicht war das, was immer es war, zu wertvoll, als daß man es als Geschenk akzeptieren konnte, und Lingerwell hat es zurückgeschickt.« »Das war mein erster Gedanke. Aber in einem Brief, der Jahre später kam, gibt es einen Hinweis, der dagegen zu sprechen scheint.
    Lingerwell hat der Familie Joyce etwas Geld geschickt, ob eigenes oder gesammeltes, ist nicht sicher, weil wir Lingerwells Briefe nicht haben. Aber dieser letzte Brief von Joyce, natürlich diktiert, nimmt indirekt Bezug auf Joyces damaliges Geschenk. Es heißt darin: ›Wenn Sie tun, worum ich Sie gebeten habe, und da vertraue ich Ihnen mehr als jedem sonst, wird es dreißig Jahre dauern, bevor Sie sich für entlohnt halten.‹ Klingt, als hätte es ein anderer für ihn
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