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In alter Freundschaft - Kriminalroman

In alter Freundschaft - Kriminalroman

Titel: In alter Freundschaft - Kriminalroman
Autoren: Grafit
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gerne mit jemandem aussprechen, dem meine Schwester nahestand. Es muss doch einen Kollegen gegeben haben, mit dem sie engeren Kontakt pflegte.«
    Der Direktor runzelte die Stirn. »Einen Kollegen? Ja, warten Sie mal! Am ehesten käme da die Frau Trageser infrage. Die Trageser und die Block, Entschuldigung, Ihre Schwester saßen bei Konferenzen oft nebeneinander.«
    »Frau Trageser. Ja.« Ich nickte dankbar. »Gibt es möglicherweise noch jemanden? Meine Eltern sagten, Ines hätte in letzter Zeit mal von einem Kollegen gesprochen, mit dem sie sich gut verstehen würde.«
    Der Direktor fuhr sich mit der Fingerspitze über die Lippen und dachte heftig nach. Endlich kam ihm eine Idee: »Das muss Herr Kampen sein. Natürlich, Bernd Kampen. Die beiden sprachen manchmal miteinander.«
    »Wo finde ich ihn?«, schnappte ich nach.
    »Jetzt, in der Pause, ist er sicherlich im Lehrerzimmer.« Er beschrieb mir den Weg.
    Das Lehrerzimmer hatte den muffigen Geruch von Zigaretten und Frustration. Ich erkundigte mich nach Bernd Kampen, und eine Lehrerin zeigte auf einen Mittdreißiger mit Prinz-Eisenherz-Frisur und Nickelbrille, der in der Ecke saß. Zweifellos der Mann, den mir Gerd Bohnenfeld beschrieben hatte.
    Kampen überflog ein Lehrbuch und machte sich hastig Notizen.
    »Herr Kampen?«, sagte ich.
    Er guckte hoch. »Ja, bitte?«
    Ich erzählte meine Geschichte zum dritten Mal, während er nervös blinzelte.
    »Tut mir leid, aber ich habe im Moment keine Zeit. Ich muss meine nächste Stunde vorbereiten.«
    »Und nach der Schule?«
    »Ja, das ginge. Ich habe nach der Fünften Schluss. Sollen wir uns im Café Majakowskij treffen? Das ist hier gleich um die Ecke.«
     
    Im Majakowskij hing die linke, die postlinke und die internationale Presse in Stangen am Geländer. Der große Kaffee wurde nicht in Kännchen, sondern in Schalen serviert, und auf der Untertasse lag ein Hütchen mit Eisschokolade. Das Publikum bestand hauptsächlich aus Studenten, die aus dem nahegelegenen Hörsaalgebäude herübergekommen waren, um die nächsten Prüfungen zu besprechen.
    Ich bestellte eine Schale Milchkaffee und ein großes Frühstück, mein zweites an diesem Tag, das erste war etwas kläglich ausgefallen, und blätterte in dem grün-links angehauchten Stadtmagazin, das den Niedergang der politischen Bewegungen neuerdings mit bunten Fotos kaschierte.
    Bernd Kampen kam, als ich einen Artikel über die neuen Ferkeleien des Oberstadtdirektors beendet hatte, und ließ eine braune Aktentasche auf den Boden fallen.
    »Ich hoffe, Ihnen ist dieses Lokal recht!«
    »Kein Problem«, sagte ich. »Ich habe auch mal studiert.«
    Eine Kellnerin erkundigte sich nach unseren Wünschen, und ich bestellte noch einen Milchkaffee. Kampen nahm einen Cappuccino.
    »Ihre Schwester war eine nette Frau«, sagte er und zündete sich eine starke französische Zigarette an. Ich konterte mit einem Zigarillo.
    »Das war sie. Deshalb bedauere ich es heute um so mehr, dass ich in den letzten Jahren kaum mit ihr gesprochen habe. Und ich höre Geschichten über sie, die ich mir einfach nicht erklären kann.«
    Kampen nebelte sich ein. »Zum Beispiel?«
    »Sie soll in letzter Zeit einen starken Männerverschleiß gehabt haben.«
    Kampen hustete. »Sind Sie deswegen zu mir gekommen?«
    »Verstehen Sie mich nicht falsch: Es geht mir nicht um Moral. Ich frage mich nur, wie Ines plötzlich dazu kommt, Männer zu sammeln wie kleine Jungs Fußballbilder.«
    »Ich gehörte nicht zu ihrer Sammlung«, sagte Kampen.
    »Ach nein?«
    »Nein. Wir hatten ein rein freundschaftliches Verhältnis. Sie sah in mir mehr so etwas wie einen väterlichen Freund.«
    Ich schaute ihn misstrauisch an. »Sie machen auf mich keinen besonders väterlichen Eindruck.«
    »Tut mir leid, wenn ich Ihnen nicht mit einer Bettgeschichte dienen kann.«
    Ich rührte in meinem Milchkaffee. »Kein Grund, gleich beleidigt zu sein. Es geht mir, wie gesagt, nur um Informationen. Ich will niemanden anklagen oder verurteilen.«
    »Dazu haben Sie bei mir auch keinen Anlass.« Er lächelte. »Leider.«
    Wir schwiegen uns fünf Sekunden lang an und ich überlegte krampfhaft, wie ich die Frage möglichst unverfänglich stellen konnte. Es fiel mir nicht ein.
    »Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sie mit Trotteln und Yuppies ins Bett gegangen ist und einen so netten, sympathischen Kollegen verschmäht hat?«
    Er stand nicht auf und ließ mich grußlos sitzen. Er sagte mir nicht einmal, dass ich ein Idiot sei. »Sie war an
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