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Imagica

Imagica

Titel: Imagica
Autoren: Clive Barker
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tagsüber gab es hier zuviel Leben, und in der Nacht vermutlich zuviel Liebe. Es war eine völlig neue Erfahrung für Gentle, sich bedeutungslos zu fühlen. Während der Reise nach Yzordderrex, als er an Lagerfeuern gesessen und zugehört hatte, wie sich andere Leute unsinnige Geschichten über ihn erzählten, wäre es nur erforderlich gewesen, auf seine Identität hinzuweisen, um sofort im Anschluß daran bewundert und gefeiert zu werden.
    Hier sah die Sache ganz anders aus. Hier war er nichts und niemand. In dieser Stadt wuchsen neue Mysterien, stellten sich neue Verbindungen her.
    Vielleicht verstanden seine Füße besser und schneller als der Kopf, denn er hatte sich noch nicht bewußt eingestanden, überflüssig zu sein, als er bereits den Saal verließ und über den Berghang wanderte. Er schlug nicht die Richtung zum Delta ein, sondern wandte sich statt dessen der Wüste zu. Instinkt leitete ihn, während der Verstand auch weiterhin am Sinn eines Abstechers in die Erste zweifelte.
    Gentle hatte das Tor zur Wüste schon einmal passiert, in der Gesellschaft von Pie, und er erinnerte sich deutlich an die Menge der Flüchtlinge. Jetzt war er allein und trug nur sein eigenes Gewicht. Dennoch wußte er, daß der nun vor ihm liegende Weg den Rest seiner Willenskraft beanspruchen würde. Diese Erkenntnis weckte keine Besorgnis in ihm. Wenn er unterwegs starb... Was spielte das für eine Rolle? Ganz gleich, welche Ansicht Judith vertrat: Die Pilgerreise war zu Ende.
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    Als er zur Kreuzung gelangte, an der er Floccus Dado begegnet war, hörte er einen Ruf, drehte sich um und sah Montag. Mit bloßem Oberkörper hockte der Junge auf dem Rücken eines Maulesels, dessen Fell wie bei einem Zebra gestreift war, und trieb das Tier hingebungsvoll an.
    »Was machst du hier ohne mich, Boß?« fragte Montag, als er den Maestro erreichte.
    »Ich habe vergeblich nach dir gesucht und dachte, daß du die Entscheidung getroffen hättest, mit Hoi-Polloi eine Familie zu gründen.«
    »Ausgeschlossen!« erwiderte der Junge. »Sie hat komische Ideen. Wollte mich irgendeinem Fisch vorstellen. Ich wies darauf hin, daß ich nicht viel von Fisch halte, weil einem dauernd die Gräten im Hals steckenbleiben. Das stimmt doch, oder? Es kommt immer wieder vor, daß Leute an Fisch ersticken. Wie dem auch sei... Plötzlich sieht mich Hoi-Polloi schief an - als hätte ich einen sausen lassen - und legt mir nahe, dich zu begleiten. Ich wußte nicht einmal, daß du die Stadt verlassen hattest! Tja, sie besorgte mir dieses häßliche Biest hier« - er klopfte auf den Hals des Maulesels - »und zeigte in diese Richtung.« Nachdenklich sah er zur Stadt hinüber.
    »Eigentlich bin ich froh, daß wir nicht mehr in Yzordderrex sind«, fügte er etwas leiser hinzu. »Meiner Ansicht nach gibt's dort zuviel Wasser. Hast du's am Tor gesehen, Boß? Formte einen großen Springbrunnen.«
    »Er muß erst vor kurzer Zeit entstanden sein - ich habe nichts bemerkt.«
    »Na bitte: Es wird immer schlimmer in der Stadt, und sicher dauert es nicht mehr lange, bis dort alle ertrinken. Wird Zeit, daß wir von hier verschwinden. Steig auf.«
    »Wie heißt das Tier?«
    »Tolland«, sagte Montag und grinste. »Wohin reiten wir?«
    Gentle deutete zum Horizont.
    »Ich sehe überhaupt nichts.«
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    »Dann ist das unsere Richtung.«
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    Als typischer Pragmatiker hatte Montag die Stadt nicht ohne Proviant verlassen. Sein zum Sack umfunktioniertes Hemd enthielt saftiges Obst, und davon ernährten sie sich unterwegs.
    Bei Einbruch der Dunkelheit verzichteten sie darauf, Rast zu machen, setzten den langsamen Ritt fort und wechselten sich dabei ab, neben dem Tier zu gehen, damit es keine zu schwere Last tragen mußte, die es vorzeitig erschöpft hätte. Sie gaben dem Maulesel ebenso viele Früchte, wie sie sich selbst nahmen, und außerdem die Kerne ihrer eigenen.
    Wenn Montag auf dem Rücken des Tieres saß, schlief er meistens, aber Gentle fand trotz der Müdigkeit keine Ruhe.
    Immer wieder kehrten seine Gedanken zu der Frage zurück, wie er diese Wüste in der Karte von Imagica verzeichnen sollte. Hinzu kam - dauernd überraschte er sich dabei, Huzzahs Stein in den Fingern zu halten: Er saugte soviel Schweiß aus der Haut, daß sich in der gewölbten Hand manchmal ein kleiner Tümpel bildete. Wenn Gentle darauf aufmerksam wurde, steckte er den Stein in die Tasche - und stellte einige Minuten später fest, daß er ihn erneut hervorgeholt hatte, um damit zu spielen.
    Manchmal
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