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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit
Autoren: Stefan Schomann
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Geschäfte getätigt und sich von Zulieferfirmen schmieren lassen. Am Ende liefen mehr als dreißig Verfahren wegen Untreue, Bestechung und Geldwäsche. Der Schaden betrug mehrere Millionen Euro; die beiden Hauptangeklagten mussten für rund fünf Jahre ins Gefängnis. Die unglaublichsten Verbindungen kamen ans Licht, bis hin zu Waffenschiebereien und Raketen für Saddam Hussein. Es kam zu zahlreichen Austritten, auch die Bergwacht erwog, sich komplett aus dem skandalumwitterten Verband zu lösen.
    2007 machte der Kreisverband Aachen Schlagzeilen, weil dessen Geschäftsführer drei Gehälter bezog und vier pompöse Dienstwagen fuhr. Auch in Berlin geriet das Rote Kreuz immer wieder in Verruf, etwa durch die Insolvenz des Landesverbandes 2001 oder durch den Klinikskandal neun Jahre später, bei dem durch falsche Abrechnungen ein Schaden von elf Millionen Euro entstanden sein soll. Die Ermittlungen kulminierten in einer der größten Razzien in der Geschichte der Stadt. Diese Häufung von Affären geht mit der Expansion des Roten Kreuzes im Gesundheits- und Sozialwesen einher, dessen undurchschaubares Dickicht ein günstiges Milieu für Korruption bildet. Werden derartige Vorgänge publik, so tauscht man die Verantwortlichen aus und stellt ihre Verfehlungen als bedauerliche Einzelfälle hin. Angesichts von 140000 hauptamtlichen Mitarbeitern ist die Zahl der bekannt gewordenen Vergehen tatsächlich erfreulich gering. Aber schon wenige Skandale vermögen die tadellose Arbeit der großen Mehrheit in Misskredit zu bringen, treffen sie doch die Achillesferse des Vereins: seine Glaubwürdigkeit. Wie jede Hilfsorganisation, die sich zu einem beträchtlichen Teil aus Spenden finanziert und von ehrenamtlicher Arbeit lebt, steht und fällt das Rote Kreuz mit seinem guten Ruf. Das mag zu einem Teil auch seine Schwierigkeiten im Umgang mit der Vergangenheit erklären. Als der Schweizer Historiker Jean-Claude Favez 1988 die erste große Studie über die unrühmliche Rolle des Internationalen Komitees bei dessen Kooperation mit dem »Dritten Reich« vorlegte, reagierte das Genfer Hauptquartier sauertöpfisch und selbstgerecht. Bis heute beruft sich das Rote Kreuz im Umgang mit totalitären Systemen auf diplomatische Verschwiegenheit und auf die Notwendigkeit von Zugeständnissen, um zumindest im Stillen Gutes bewirken zu können.
    Die Erfahrungen im »Dritten Reich« können als Paradebeispiel für das Dilemma im Umgang mit Schurkenstaaten aller Art dienen. Christian Tomuschat, einem der renommiertesten deutschen Völkerrechtler, sind solche Zwangslagen aus seiner internationalen Arbeit vertraut. »In Menschenrechtsfragen ist das die Standardargumentation, dass man auch mit üblen Mächten zusammenarbeiten muss, um Schlimmeres zu verhüten. Was aber, wenn es sich nicht verhüten lässt? Im Fall Deutschlands standen am Ende sechs Millionen ermordeter Juden, und das Rote Kreuz hat hartnäckig dazu geschwiegen.«
    Als weltweite Organisation, die ein Mandat der Menschlichkeit auszuüben beansprucht, muss das Rote Kreuz strengere Maßstäbe an sich selbst anlegen als ein Versicherungskonzern oder ein Sportverband. Aus Angst vor Spendenverlusten und Mitgliederschwund wich es derart unbequemen Fragen lange aus und betrieb lieber positive Imagekampagnen. Doch Reklame ist noch keine Ethik. Immerhin entstand im Laufe der neunziger Jahre auch intern ein stärkeres Problembewusstsein, und schrittweise wich die institutionelle Amnesie dem grundsätzlich schmerzhaften Prozess der Selbsterkenntnis. Parallel erschienen wichtige wissenschaftliche Vorarbeiten, und schließlich rang das DRK sich dazu durch, eine umfassende Studie über die Organisation im Nationalsozialismus in Auftrag zu geben. Sie erschien 2008; seither liegt eine breite Grundlage zur Diskussion vor, und die Wogen haben sich geglättet.
    Seit Kurzem verfügt die Organisation über einen Ort, der geradezu danach verlangt, diese Fragen zur Sprache zu bringen. Auf Burg Vogelsang in der Eifel öffnete 2011 eines von mittlerweile sechzehn deutschen Rotkreuzmuseen seine Pforten. Den Burgen des Deutschen Ritterordens nachempfunden, war die Anlage eines der größten Bauvorhaben des NS -Regimes; Architekt Clemens Klotz machte dort zumindest seinem Namen alle Ehre. Er schuf ein martialisches Idyll mit Wachturm, Sportanlagen, Thingstätte, wuchtigen Wohnquartieren und sechzehn Bunkern. In der Reichsschulungsburg sollte die neue Elite für Partei und SS herangebildet werden und zugleich eine
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