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Im Zeichen der Angst Roman

Titel: Im Zeichen der Angst Roman
Autoren: Mika Bechtheim
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identifizierte und sie mich über sein berufliches und privates Umfeld befragten. Denn es gab bei seinem Tod ein paar Ungereimtheiten. Der LKW-Fahrer hatte eine Kugel im Kopf und war zur Zeit des Aufpralls bereits tot gewesen. Das hatte die Obduktion der Leiche ergeben. Die Polizei ging schließlich davon aus, dass der polnische Fahrer einen Anhalter mitgenommen hatte, der ihn ausrauben wollte und schließlich erschossen hatte. In seiner Panik war er dann weitergefahren, bis er den LKW im Stau auf das Auto meines Mannes gefahren hatte. Danach war er geflüchtet. So lauteten zunächst die Vermutungen. Der Täter wurde nie gefasst, und schließlich schloss die Polizei die Akten.
    Vielleicht hätte ich das nicht auf sich beruhen lassen dürfen. Doch ich habe lange Gespräche mit meinem Freund John Hart geführt. John war der Therapeut, der mich im Moorfleeter Frauengefängnis behandelt hatte. Außerdem arbeitete er als Gerichtsgutachter. Er half mir während meiner Haft, mit Johannas Tod zurechtzukommen. Und er half mir mit seinem Gutachten über meine psychische Stabilität, auf Bewährung entlassen zu werden. Nach seiner Einschätzung würde ich niemals einen Mord begehen - und ich versichere jedem: Er hat recht. Nachdem ich meine Haft verbüßt hatte, suchte ich ihn etwa alle drei Monate auf. Als Kai mich verließ, trafen wir uns einmal die Woche, und nach und nach freundeten wir uns an. Er hat mich durch diese Trennung begleitet. Weniger als Therapeut,
sondern mehr als Freund, der an so manchem Abend eine Flasche Rotwein mit mir leerte und versuchte, mich aufzubauen und mir klarzumachen, dass ich an dieser Trennung keine Schuld trug. Er hatte mir geraten, die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen und mich um Josey zu kümmern. Das hätte Vorrang vor allem.
    Das erste Mal hatten sie mich in der ehemaligen DDR vernommen, als meine Mutter verschwand. Sie hatte nie mit mir über ihre Fluchtpläne gesprochen, doch sie hatte diesen Brief hinterlassen. Auf hellblauem Papier. Er war auf unserer Reiseschreibmaschine geschrieben worden. Sowohl mein Vater als auch ich hätten ihn schreiben können, denn er trug keine Unterschrift. Man hat meinen Vater monatelang verdächtigt, seine Frau umgebracht zu haben. Es war ein offenes Geheimnis, dass die Ehe meiner Eltern in den Monaten vor ihrem Verschwinden nicht gerade gut gewesen war.
    Mein Vater hatte für die Nacht, in der sie verschwand, kein Alibi, denn er war mit ihr allein zu Hause. Am nächsten Morgen rief er in ihrer Schule an und meldete sie krank. Fünf Tage später stand der Schuldirektor Cornelius Rauh vor der Tür, weil es keinen Krankenschein gab. Mein Vater erzählte seine Geschichte und zeigte ihm den Brief. Noch am selben Tag wurde er verhaftet.
    Nach ein paar Tagen ließen sie meinen Vater gehen. Sie hatten keine Leiche und keine Beweise, weder für ihren Tod noch für ihre Flucht.
    Der Fall hatte Schlagzeilen gemacht, und als die Mauer gefallen war, suchte die Polizei im ganzen Land nach meiner Mutter. Doch sie blieb wie vom Erdboden verschluckt.
    Ich habe meine Mutter geliebt. Wir beide, mein Vater und ich, haben sie geliebt. Der Tod eines geliebten Menschen ist nicht nur schmerzhaft, sondern er trifft einen wie eine Abrissbirne. Alles fällt innerlich auseinander, und man ist nicht in der Lage, die Fassade aufrechtzuerhalten, mit solcher Gewalt wird
man vernichtet. Wenn der Tod so früh eintritt wie bei Johanna und Kai, dann hadert man mit allem. Doch irgendwann gibt es einen Punkt, an dem man sich mit dem Verlust abfindet und aus dem Schutt etwas Neues aufbaut. Nicht, weil die Zeit die Wunden heilt oder der Schmerz vergeht. Immer wenn ich an meine erste Tochter und meinen Mann denke, überkommt mich der Schmerz mit derselben Wucht. Doch man findet sich damit ab, weil der Tod eine unleugbare Tatsache ist. Meine erste Tochter starb einsam und qualvoll in einem alten Wasserturm. Sie starb, weil sie an diesem Tag ihren Mantel mit dem Parka ihrer Freundin getauscht und in der Manteltasche ihr Asthmaspray vergessen hatte. Dieses Wissen ist grausam, und es kann einem den Boden unter den Füßen wegreißen.
    Wenn ein Mensch jedoch einfach so von heute auf morgen verschwindet, dann ist das zwar auch eine Tatsache, doch diese Tatsache wirft zu viele Fragen auf. Fragen, die nicht zuließen, dass ich mich von meiner Mutter innerlich verabschiedete und sie gehen ließ, wie ich es mit Kai und Johanna getan hatte.
    Meine Mutter legte ihr altes Leben ab und schlüpfte in
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