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Im Zeichen der Angst Roman

Titel: Im Zeichen der Angst Roman
Autoren: Mika Bechtheim
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Zu sehr war ich damit beschäftigt, meine Tränen zurückzuhalten und mein Herz am Schlagen zu halten.
    »Da ist noch etwas«, sagte Mankiewisc in die Stille, die nur vom leisen Geräusch des Papiers unterbrochen wurde, wenn ich die Fotos eines nach dem anderen auf die Bahre legte.
    Er gab mir die Kette mit dem Medaillon, und ich öffnete es.
    Ich dachte, mir würden die Beine wegbrechen. Mankiewisc machte eine Bewegung mit dem Kopf, Groß ging zur übernächsten Bahre und holte mir den Stuhl, der dort stand.
    Ich ließ mich darauf fallen.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Dr. Umlandt. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, dass er doch wohl sehen würde, dass hier nichts in Ordnung wäre. Aber ich war zu erschöpft.
    Auf der linken Seite des Medaillons lachte mir ein junger Mann entgegen, den ich nie zuvor gesehen hatte. Es war eine vergilbte Schwarzweißaufnahme. Die Aufnahme mochte 50 Jahre alt sein. Auf der anderen Seite des Medaillons steckte das Porträt eines Kindes. Ich kannte dieses Kind. Das Mädchen auf dem Foto, das war ich selbst im Alter von etwa sieben Jahren.
    Ich sah auf den toten Körper vor mir.
    »Haben Sie die Narbe gefunden?«, fragte ich Dr. Umlandt.
    Er nickte. »Mehrere.«
    Ich stutzte. »Zeigen Sie sie mir«, sagte ich.
    »Welche?«, fragte er.
    »Alle«, sagte ich. »Ich will sie alle sehen.«
    Dr. Umlandt zog die Duschhaube zurück. »Sie hat eine alte am Hinterkopf …«
    »Nein«, unterbrach ich ihn mit einer viel zu schrillen Stimme und hob abwehrend die Hände. »Ich will den Bauch sehen.«
    Er schlug das Laken zurück.
    Große weiße Brüste flossen zu den Armen hin auseinander.
Darunter wölbte sich ein breiter Bauch, dessen Haut trotz der Fülle und des Alters erstaunlich fest und straff wirkte. Er war in der Mitte frisch geöffnet und wieder vernäht worden. Unter diesem Bauch hatte sich eine schlaffe Falte wie ein schützender Schal bis auf den Schambeinhügel gelegt.
    Ich machte eine Bewegung mit den Augen.
    Dr. Umlandt griff nach der Falte und hob sie etwas an.
    Ich stand von dem Stuhl auf und beugte mich vor.
    Da lag sie vor mir, immer noch bläulich, immer noch gezackt und wie ausgefranst.
    Meine Mutter hatte mit 15 Jahren einen Blinddarmdurchbruch gehabt. Sie wurde operiert. Tagelang hatten Ärzte und Schwestern 1944 in einem deutschen Lazarett in Polen um ihr Leben gerungen. Doch in der Bauchhöhle hatte es weitergeeitert. Schließlich hatten sie ihr den Bauch geöffnet und sie einfach liegen gelassen. Sie dachten wohl, sie würde sterben. Aber meine Mutter war nicht gestorben. Sie hatte diesen unbedingten Lebenswillen, den ich von ihr geerbt habe. Menschen wie uns kriegt man nicht unter. Man kann uns vielleicht klein machen, aber auf Dauer unterkriegen lassen wir uns nicht. Wir stehen immer wieder auf. Zehn Tage lang floss der Eiter über ein Tuch aus der offenen Wunde ab. Dann begann sie langsam zu heilen.
    Diese Narbe, die keiner Narbe glich, die ich jemals gesehen habe, lag nun vor mir und ich starrte sie an und konnte die Augen nicht abwenden.
    »Frau Steinfeld?« Mankiewiscs Stimme drang an mein Ohr
    Ich wandte mich ab. Groß stand genau hinter mir. Meine Augen trafen seine.
    »Frau Steinfeld«, sagte er leise.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Aber das ist sie doch«, sagte er.
    »Sie müssen es bestätigen«, sagte Mankiewisc. »Wir brauchen es für die Identifizierung.«

    Ich drehte mich zurück, sah noch einmal in das Gesicht meiner Mutter und schaute dann zu Mankiewisc.
    »Sie ist meine Mutter«, sagte ich.
    »Sind Sie sicher?«
    Ich zeigte auf die Narbe und erklärte ihm ihre Herkunft.
    Sie ließen mich gehen, doch es blieb etwas zurück, was ich nicht benennen konnte. Ein unbestimmtes Kältegefühl, das sich von innen gegen meine Magenwand drückte.

3
    Ich saß in einem weinroten Plüschsessel im Wintergarten meines Stammcafés »Five-a-Clocks« und schaute durch die Glasfront in den Mittagshimmel, der sich schwer und trübe über dem weiten, aufgewühlten Wasser der Außenalster wölbte. In der Ferne verlor sich das Weiß eines einsamen Segelbootes zwischen den Lichtern der Stadt, die sich in dem Binnensee spiegelten. Ich rührte mechanisch in meinem Milchkaffee und fragte mich zum wiederholten Mal, was ich jetzt tun sollte. Ich hatte Dr. Umlandt eine Blutprobe gegeben. Eine umfassende Genanalyse würde erst in ein paar Wochen vorliegen, doch Dr. Umlandt meinte, ein vorläufiges Ergebnis könnten sie schon in einigen Tagen haben.
    Die Frage ihrer Identität
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