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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Warmes trinken? Du siehst aus, als würdest du frieren«, sagte Joentaa und lächelte, aber Tuomas Heinonen hörte wohl gar nicht, was er sagte.
    »Bei mir gab es ein paar Probleme. Ich … wir hatten
    … eine missglückte Bescherung … sozusagen … ich habe dann … ich habe dann an dich gedacht … schön, dass du noch wach warst … oder hattest du schon geschlafen?«
    »Komm, wir setzen uns jetzt hin und trinken erst mal was«, sagte Joentaa und ging in die Küche.
    Tuomas Heinonen folgte. Er setzte sich und betrachtete gedankenverloren die Wodkaflasche und die Milchtüte, die auf dem Tisch standen.
    »Das Problem ist, dass ich an allem schuld bin. Das ist das Schlimmste«, sagte Heinonen.
    »Was ist denn passiert?«, fragte Joentaa.
    Heinonen sah ihn gequält an und zögerte.
    »Vielleicht ist bei uns alles aus«, sagte er schließlich und lehnte sich zurück, als sei alles gesagt und geklärt.
    Joentaa setzte sich ihm gegenüber und wartete.
    »Wenn du …«, begann er, aber Heinonen unterbrach ihn. Er sprach jetzt hektisch. »Es ist so, ich würde gerne mit dir darüber reden, aber ich weiß nicht, ob ich das kann. Es ist … es sind ja … es ist schwierig.«
    »Du musst nicht …«
    »Es ist so, Kimmo, die Zwillinge, die waren zu viel für mich.«
    Wieder sackte Heinonen in sich zusammen, als sei alles gesagt.
    »Die Zwillinge …«, sagte Joentaa.
    »Ja, du weißt doch, dass wir Zwillinge haben, Tarja und Vanessa …«
    Joentaa nickte.
    »Das sind natürlich … tolle … tolle Mädchen … entschuldige … das ist sicher alles Quatsch, was ich hier erzähle … entschuldige bitte …«
    Wenn du dich noch einmal grundlos entschuldigst, dachte Joentaa vage.
    »Es war zu viel für mich, ich wollte das nicht«, sagte Tuomas Heinonen. »Ich wollte das nicht, ich habe überhaupt keine Kinder gewollt. Ich liebe sie natürlich, aber ich habe sie nicht gewollt. Verstehst du?«
    »Ich bin nicht ganz sicher«, sagte Joentaa und sah Bilder vor Augen. Die Taufe der Zwillinge. Joentaa war dort gewesen und hatte sich fehl am Platz gefühlt, weil er außer einigen Kollegen niemand gekannt hatte. Heinonen, der die beiden kleinen Mädchen unter den Armen trug wie Rugbykugeln und lachend rannte.
    »Es ist mir alles zu viel. Wir haben keine Zeit mehr. Es passiert nichts mehr, nur noch die Kinder.«
    Joentaa nickte.
    »Das Problem ist … folgendes …«, sagte Heinonen. »Ich … ich habe eine Art … Ausgleich gesucht.«
    Joentaa wartete.
    »Ich … ich habe gespielt.«
    »Gespielt?«
    »Geld verspielt. Sehr viel. Fast alles, was wir zurückgelegt hatten.«
    Joentaa nickte und suchte nach Worten.
    »Internetwetten«, sagte Heinonen. »Sportwetten. Virtuelles Pokern. Aber das Geld ist ganz real. Wenn man will. Wenn man … ich habe da eine Kontrolle verloren, da ist was aufgebrochen. Paulina hat es rausbekommen, ich weiß nicht, wie. Aber heute Abend fing sie plötzlich damit an.«
    Joentaa nickte.
    Heinonen starrte den Tisch an, dann den Ärmel seiner Jacke. »Äh … entschuldige, ich stelle gerade fest, dass ich das dämliche Kostüm noch anhabe«, sagte er entgeistert.
    »Macht nichts«, sagte Joentaa.
    »Äh …« Heinonen begann zu kichern. »Kimmo, wie machst du das … dieses … wie schaffst du das, selbst in den abwegigsten Situationen keine Miene zu verziehen?«
    »Es war ja offensichtlich, dass du traurig bist.«
    »Ja«, sagte Tuomas Heinonen. Er schien nachzudenken. »Was ich dich fragen möchte, Kimmo, entschuldige, dass ich dich jetzt damit behellige, überhaupt bitte ich dich, meinen ganzen Auftritt hier zu entschuldigen …«
    »Du musst dich nicht entschuldigen.«
    »Wie … hast du das gemacht … in den vergangenen Jahren … seit dem Tod deiner Frau … dass du Jahre lang so leben konntest … so … allein … ich habe oft über dich nachgedacht, und, das klingt sicher komisch, aber ich bewundere dich fast für diese … diese eigene Welt, in der du lebst, diese Ruhe, die du … ausstrahlst …«
    Joentaa fragte sich, worauf Tuomas hinaus wollte, und er sah in die Augen der Frau, die er nicht kannte. Verschlafen und nackt stand sie im Türrahmen.
    »Worüber redet ihr denn die ganze Zeit?«, fragte sie.
    Heinonen drehte sich um.
    Eine Weile herrschte Schweigen, dann sagte Kimmo: »Tuomas, darf ich dir … das ist …«
    »Namen spielen keine Rolle, aber du kannst mich Larissa nennen«, sagte die Frau.
    Larissa, dachte Joentaa.
    »So nennen mich die anderen auch«, sagte sie.
    Eine lange Pause trat
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