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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Schritte hinter der Tür und spürte ein Stechen im Magen. Leena Jauhiainen öffnete.
    »Oh … Kimmo … und …«
    »Sundström, Paavo Sundström. Wir kennen uns flüchtig von der Weihnachtsfeier …«
    »Natürlich. Ich erinnere mich. Patrik ist nicht da, seitdem es geschneit hat, geht er morgens immer Langlaufen. Es gibt doch … hoffentlich keine Arbeit für ihn … nicht heute, oder?«
    »Leena …«
    »Ja?«, sagte sie. Im Hintergrund schrie ein Baby. »Ist … ist alles in Ordnung?«
    »Können wir reinkommen?«
    »Sicher. Geht schon ins Wohnzimmer, ich muss mich kurz um Kalle kümmern.« Sie ging in ein Nebenzimmer, und Joentaa folgte Sundström ins Innere des Hauses. Im Wohnzimmer stand ein großer, aufwändig geschmückter Weihnachtsbaum. Leena kehrte mit dem leise weinenden Baby auf dem Arm zurück.
    Sie standen sich eine Weile gegenüber.
    »Ist … ist irgendwas? Ihr macht mir irgendwie Angst«, sagte sie.
    »Patrik ist tot«, sagte Sundström. »Er ist … während des Langlaufens attackiert und getötet worden.«
    Leena schwieg, und Joentaa fror.
    »Es … tut mir sehr leid«, sagte Sundström, und Leena schüttelte den Kopf.
    Das Baby lächelte.
11
    Sie bleibt eine Weile am Fuß der Anhöhe stehen und betrachtet das lang gezogene Haus, dessen gelbe Farbe in der kräftigen Wintersonne wie Zitroneneis aussieht. Die Kinder fahren Schlitten, das vielstimmige Lachen dringt bis zu ihr nach unten, und sie hat den Eindruck, es müsste in der ganzen Stadt zu hören sein.
    Langsam geht sie den Hügel hinauf, an den Kindern vorbei, die sich triumphierend in den Abgrund stürzen. Sie hat schon nach Rauna Ausschau gehalten, aber sie scheint bei den Schlittenfahrern nicht dabei zu sein.
    Sie geht die langen Gänge entlang. An den Wänden hängen Weihnachtssterne aus Papier und Pappe und Weihnachtsbäume, dunkelgrüne Dreiecke auf kleinen Stämmen. Sie findet Rauna im Aufenthaltsraum. Sie sitzt mit Hilma an einem Tisch. Die beiden puzzeln. Hilma summt vor sich hin und wippt auf dem Stuhl hin und her, während Rauna konzentriert und behutsam die Teile anordnet.
    Sie steht im Türrahmen und sieht den beiden eine Weile zu. »Geht ihr nicht Schlitten fahren?«, fragt sie.
    »Hab ich auch gesagt, aber Rauna will unbedingt das blöde Puzzle fertig machen«, sagt Hilma.
    Rauna lächelt und winkt sie zu sich. Sie löst sich von der Tür und tritt an den Tisch heran.
    »Ist gleich fertig«, sagt Rauna und betrachtet abwechselnd die Puzzleteile und den Deckel, auf dem die Vorlage des fertigen Bildes zu sehen ist. Eine Arche Noah. Löwen, Elefanten, Giraffen, Affen und ein bärtiger Mann, der schon am Steuerrad wartet, um in See zu stechen. Hilma springt auf und drückt ihr Gesicht gegen die Scheibe, hinter der die Kinder Schlitten fahren. Rauna legt die letzten Steine in das Mosaik und betrachtet eine Weile das Bild, bevor sie in die Hände klatscht.
    »Fertig!«, ruft sie.
    »Jetzt aber! Schlitten fahren!«, ruft Hilma und rennt los.
    »Schaust du zu?«, fragt Rauna.
    Sie nickt.
    Rauna springt vom Stuhl und rennt hinter Hilma her, und sie sieht noch einmal auf das Bild hinab, das Raunas Hände geformt haben. Stück für Stück, bis aus Teilen ein Ganzes wird. Sie streicht mit der Hand darüber. Dann geht sie langsam nach draußen. Hilma und Rauna stehen schon an, um einen der Schlitten zu ergattern. Hilma bekommt einen braunen aus Holz, Rauna einen roten aus Plastik.
    »Wer als erster unten ist!«, ruft Hilma und wirft sich mit etwas Vorsprung auf den Abhang. Rauna zögert kurz, dann setzt sie sich vorsichtig und stößt sich ab. Unten angekommen, ruft Hilma, dass sie gewonnen habe. Rauna nickt, dreht sich um, blickt nach oben und scheint etwas zu suchen.
    »Hier bin ich, Rauna!«, ruft sie. »Hier oben, ich habe euch fahren sehen!«
    Sie winkt, und Rauna winkt zurück.
12
    Am Abend schneite es, und das Haus lag im Dunkel.
    Kimmo Joentaa parkte den Wagen unter dem Apfelbaum und lief durch die Kälte. Er stand reglos im Flur und versuchte, Geräusche auszumachen, die die Anwesenheit eines Menschen verrieten. Keine Adresse, kein Geburtsdatum. Er würde die Frau, deren Namen er nicht kannte, nicht wiederfinden.
    Er ging in die Küche und schaltete das Licht an. Auf dem Tisch standen die Milchtüte und die Wodkaflasche. Auf der Ablage neben der Spüle standen eine Schüssel und die Packung mit den Haferflocken, daneben lag ein Löffel.
    Offensichtlich hatte die Frau ein Müsli gegessen, nach dem Aufstehen. Bevor sie die Tür
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