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Im Westen Nichts Neues

Im Westen Nichts Neues

Titel: Im Westen Nichts Neues
Autoren: Erich Maria Remarque
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Hitze wie eine Qualle feucht und schwül in unsere Löcher, und an einem dieser Spätsommertage, beim Essenholen, fällt Kat um. Wir beide sind allein. Ich verbinde seine Wunde; das Schienbein scheint zerschmettert zu sein. Es ist ein Knochenschuß, und Kat stöhnt verzweifelt: »Jetzt noch – gerade jetzt noch –«
    Ich tröste ihn. »Wer weiß, wie lange der Schlamassel noch dauert! Du bist erst mal gerettet–«
    Die Wunde beginnt heftig durchzubluten. Kat kann nicht allein bleiben, damit ich eine Bahre zu holen versuche. Ich weiß auch nirgendwo eine Sanitätsstation in der Nähe.
    Kat ist nicht sehr schwer; deshalb nehme ich ihn auf den Rücken und gehe zurück mit ihm zum Verbandsplatz.
    Zweimal machen wir Rast. Er hat starke Schmerzen durch den Transport. Wir sprechen nicht viel. Ich habe den Kragen meiner Jacke aufgemacht und atme heftig, ich schwitze, und mein Gesicht ist gedunsen von der Anstrengung des Tragens. Trotzdem dränge ich, daß wir weitergehen, denn das Terrain ist gefährlich.
    »Geht’s wieder, Kat?«
    »Muß wohl, Paul.«
    »Dann los.«
    Ich richte ihn auf, er steht auf dem unverletzten Bein und hält sich an einem Baum fest. Dann fasse ich vorsichtig das verwundete Bein, er gibt sich einen Ruck, und ich nehme auch das Knie des gesunden Beines unter den Arm. Unser Weg wird schwieriger. Manchmal pfeift eine Granate heran. Ich gehe, so schnell ich vermag, denn das Blut von Kats Wunde tropft zu Boden. Wir können uns nur schlecht schützen vor den Einschlägen, denn ehe wir Deckung nehmen, sind sie längst vorüber. Um abzuwarten, legen wir uns in einen kleinen Trichter. Ich gebe Kat Tee aus meiner Feldflasche. Wir rauchen eine Zigarette. »Ja, Kat«, sage ich trübsinnig, »nun kommen wir doch noch auseinander.«
    Er schweigt und sieht mich an.
    »Weißt du noch, Kat, wie wir die Gans requirierten? Und wie du mich aus dem Schlamassel holtest, als ich noch ein kleiner Rekrut und zum erstenmal verwundet war? Damals habe ich noch geweint. Kat, es sind fast drei Jahre jetzt.«
    Er nickt.
    Die Angst vor dem Alleinsein steigt in mir auf. Wenn Kat abtransportiert ist, habe ich keinen Freund mehr hier.
    »Kat, wir müssen uns auf jeden Fall wiedersehen, wenn wirklich Frieden ist, ehe du zurückkommst.«
    »Glaubst du, daß ich mit dem Knochen da noch mal k. v. werde?« fragt er bitter.
    »Du wirst ihn in Ruhe ausheilen. Das Gelenk ist ja in Ordnung. Vielleicht klappt es doch damit.«
    »Gib mir noch eine Zigarette«, sagt er.
    »Vielleicht können wir irgend etwas später zusammen machen, Kat.« – Ich bin sehr traurig, es ist unmöglich, daß Kat – Kat, mein Freund, Kat mit den Hängeschultern und dem dünnen, weichen Schnurrbart, Kat, den ich kenne auf eine andere Weise als jeden anderen Menschen, Kat, mit dem ich diese Jahre geteilt habe –, es ist unmöglich, daß ich Kat vielleicht nicht wiedersehen soll.
    »Gib mir deine Adresse für zu Hause, Kat, auf jeden Fall. Und hier ist meine, ich schreibe sie dir auf.« Den Zettel schiebe ich in meine Brusttasche. Wie verlassen ich schon bin, obschon er noch neben mir sitzt. Soll ich mir rasch in den Fuß schießen, um bei ihm bleiben zu können? Kat gurgelt plötzlich und wird grün und gelb. »Wir wollen weiter«, stammelt er.
    Ich springe auf, glühend, ihm zu helfen, ich nehme ihn hoch und setze mich in Lauf, einen gedehnten, langsamen Dauerlauf, damit sein Bein nicht zu sehr schlenkert.
    Mein Hals ist trocken, es tanzt mir rot und schwarz vor den Augen, als ich verbissen und ohne Gnade weiterstolpernd, endlich die Sanitätsstation erreiche.
    Dort breche ich in die Knie, habe aber noch so viel Kraft, nach der Seite umzufallen, wo Kats gesundes Bein ist. Langsam richte ich mich nach einigen Minuten wieder auf. Meine Beine und meine Hände zittern heftig, ich habe Mühe, meine Feldflasche zu finden, um einen Schluck zu nehmen. Die Lippen beben mir dabei.
    Aber ich lächele – Kat ist geborgen.
    Nach einer Weile unterscheide ich den verworrenen Stimmenschwall, der sich in meinem Ohr fängt.
    »Das hättest du dir sparen können«, sagt ein Sanitäter.
    Ich sehe ihn verständnislos an.
    Er zeigt auf Kat. »Er ist ja tot.«
    Ich begreife nicht. »Er hat einen Schienbeinschuß«, sage ich.
    Der Sanitäter bleibt stehen. »Das auch –« Ich drehe mich um. Meine Augen sind noch immer trübe, der Schweiß ist mir jetzt von neuem ausgebrochen, er läuft über die Lider. Ich wische ihn fort und sehe zu Kat hin.
    Er liegt still. »Ohnmächtig«, sage ich
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