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Im Westen Nichts Neues

Im Westen Nichts Neues

Titel: Im Westen Nichts Neues
Autoren: Erich Maria Remarque
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mit mir erlebt das meine Generation. Was werden unsere Väter tun, wenn wir einmal aufstehen und vor sie hintreten und Rechenschaft fordern? Was erwarten sie von uns, wenn eine Zeit kommt, wo kein Krieg ist? Jahre hindurch war unsere Beschäftigung Töten – es war unser erster Beruf im Dasein. Unser Wissen vom Leben beschränkt sich auf den Tod. Was soll danach noch geschehen? Und was soll aus uns werden?
    *
    Der älteste auf unserer Stube ist Lewandowski. Er ist vierzig Jahre alt und liegt bereits zehn Monate im Hospital an einem schweren Bauchschuß. Erst in den letzten Wochen ist er so weit gekommen, daß er gekrümmt etwas hinken kann.
    Seit einigen Tagen ist er in großer Aufregung. Seine Frau hat ihm aus dem kleinen Nest in Polen, wo sie wohnt, geschrieben, daß sie so viel Geld zusammen hat, um die Fahrt zu bezahlen und ihn besuchen zu können. Sie ist unterwegs und kann jeden Tag eintreffen. Lewandowski schmeckt das Essen nicht mehr, sogar Rotkohl mit Bratwurst verschenkt er, nachdem er ein paar Happen genommen hat. Ständig läuft er mit dem Brief durchs Zimmer, jeder hat ihn schon ein dutzendmal gelesen, die Poststempel sind wer weiß wie oft schon geprüft, die Schrift ist vor Fettflecken und Fingerspuren kaum noch zu erkennen, und was kommen muß, kommt: Lewandowski kriegt Fieber und muß wieder ins Bett.
    Er hat seine Frau seit zwei Jahren nicht gesehen. Sie hat inzwischen ein Kind geboren, das bringt sie mit. Aber etwas ganz anderes beschäftigt Lewandowski. Er hatte gehofft, die Erlaubnis zum Ausgehen zu erhalten, wenn seine Alte kommt, denn es ist doch klar: Sehen ist ganz schön, aber wenn man seine Frau nach so langer Zeit wiederhat, will man, wenn es eben geht, doch noch was anderes.
    Lewandowski hat das alles stundenlang mit uns besprochen, denn beim Kommiß gibt es darin keine Geheimnisse. Es findet auch keiner etwas dabei. Diejenigen von uns, die schon ausgehen können, haben ihm ein paar tadellose Ecken in der Stadt gesagt, Anlagen und Parks, wo er ungestört gewesen wäre, einer wußte sogar ein kleines Zimmer.
    Doch was nützt das alles. Lewandowski liegt im Bett und hat seine Sorgen. Das ganze Leben macht ihm keinen Spaß mehr, wenn er diese Sache verpassen muß. Wir trösten ihn und versprechen ihm, daß wir den Kram schon irgendwie schmeißen werden.
    Am andern Nachmittag erscheint seine Frau, ein kleines, verhutzeltes Ding mit ängstlichen und eiligen Vogelaugen, in einer Art von schwarzer Mantille mit Krausen und Bändern, weiß der Himmel, wo sie das Stück mal geerbt hat.
    Sie murmelt leise etwas und bleibt scheu an der Tür stehen. Es erschreckt sie, daß wir sechs Mann hoch sind.
    »Na, Marja«, sagt Lewandowski und schluckt gefährlich mit seinem Adamsapfel, »kannst ruhig ‘reinkommen, die tun dir hier nichts.«
    Sie geht herum und gibt jedem von uns die Hand. Dann zeigt sie das Kind vor, das inzwischen in die Windeln gemacht hat. Sie hat eine große, mit Perlen bestickte Tasche bei sich, aus der sie ein reines Tuch nimmt, um das Kind flink neu zu wickeln. Damit ist sie über die erste Verlegenheit hinweg, und die beiden fangen an zu reden.
    Lewandowski ist sehr kribblig, er schielt immer wieder äußerst unglücklich mit seinen runden Glotzaugen zu uns herüber.
    Die Zeit ist günstig, die Arztvisite ist vorbei, es könnte höchstens noch eine Schwester ins Zimmer schauen. Einer geht deshalb noch einmal hinaus – spekulieren. Er kommt zurück und nickt. »Kein Aas zu sehen. Nun sag’s ihr schon, Johann, und mach zu.«
    Die beiden unterhalten sich in ihrer Sprache. Die Frau guckt etwas rot und verlegen auf. Wir grinsen gutmütig und machen wegwerfende Handbewegungen, was schon dabei sei! Der Teufel soll alle Vorurteile holen, die sind für andere Zeiten gemacht, hier liegt der Tischler Johann Lewandowski, ein zum Krüppel geschossener Soldat, und da ist seine Frau, wer weiß, wann er sie wiedersieht, er will sie haben, und er soll sie haben, fertig.
    Zwei Mann stellen sich vor die Tür, um die Schwestern abzufangen und zu beschäftigen, wenn sie zufällig vorbeikommen sollten. Sie wollen ungefähr eine Viertelstunde aufpassen.
    Lewandowski kann nur auf der Seite liegen, einer packt ihm deshalb noch ein paar Kissen in den Rücken, Albert kriegt das Kind zu halten, dann drehen wir uns ein bißchen um, die schwarze Mantille verschwindet unter der Bettdecke, und wir kloppen laut und mit allerhand Redensarten Skat.
    Es geht alles gut. Ich habe einen wüsten Kreuz-Solo mit vieren in
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