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Im Westen Nichts Neues

Im Westen Nichts Neues

Titel: Im Westen Nichts Neues
Autoren: Erich Maria Remarque
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den Fingern, der ungefähr noch rumgeht. Darüber vergessen wir beinahe Lewandowski. Nach einiger Zeit beginnt das Kind zu plärren, obschon Albert es verzweifelt hin und her schwenkt. Es knistert und rauscht dann ein bißchen, und als wir so beiläufig aufblicken, sehen wir, daß das Kind schon die Flasche im Mund hat und wieder bei der Mutter ist. Die Sache hat geklappt.
    Wir fühlen uns jetzt als eine große Familie, die Frau ist ordentlich munter geworden, und Lewandowski liegt schwitzend und strahlend da.
    Er packt die gestickte Tasche aus, es kommen da ein paar gute Würste zum Vorschein, Lewandowski nimmt das Messer wie einen Blumenstrauß und säbelt das Fleisch in Stücke. Mit großer Handbewegung weist er auf uns – und die kleine, verhutzelte Frau geht von einem zum andern und lacht uns an und verteilt die Wurst, sie sieht jetzt direkt hübsch aus dabei. Wir sagen Mutter zu ihr, und sie freut sich und klopft uns die Kopfkissen auf.
    *
    Nach einigen Wochen muß ich jeden Morgen ins Zanderinstitut. Dort wird mein Bein festgeschnallt und bewegt.
    Der Arm ist längst geheilt.
    Es laufen neue Transporte aus dem Felde ein. Die Verbände sind nicht mehr aus Stoff, sie bestehen nur noch aus weißem Krepp-Papier. Verbandstoff ist zu knapp geworden draußen.
    Alberts Stumpf heilt gut. Die Wunde ist fast geschlossen. In einigen Wochen soll er fort in eine Prothesenstation. Er spricht noch immer wenig und ist viel ernster als früher. Oft bricht er mitten im Gespräch ab und starrt vor sich hin. Wenn er nicht mit uns andern zusammen wäre, hätte er längst Schluß gemacht. Jetzt aber ist er über das Schlimmste hinausgelangt. Er sieht schon manchmal beim Skat zu.
    Ich bekomme Erholungsurlaub.
    Meine Mutter will mich nicht mehr fortlassen. Sie ist so schwach. Es ist alles noch schlimmer als das letztemal.
    Danach werde ich vom Regiment angefordert und fahre wieder ins Feld.
    Der Abschied von meinem Freunde Albert Kropp ist schwer. Aber man lernt das beim Kommiß mit der Zeit.

11.
    Wir zählen die Wochen nicht mehr. Es war Winter, als ich ankam, und bei den Einschlägen der Granaten wurden die gefrorenen Erdklumpen fast ebenso gefährlich wie die Splitter. Jetzt sind die Bäume wieder grün. Unser Leben wechselt zwischen Front und Baracken. Wir sind es teilweise schon gewohnt, der Krieg ist eine Todesursache wie Krebs und Tuberkulose, wie Grippe und Ruhr. Die Todesfälle sind nur viel häufiger, verschiedenartiger und grausamer.
    Unsere Gedanken sind Lehm, sie werden geknetet vom Wechsel der Tage – sie sind gut, wenn wir Ruhe haben, und tot, wenn wir im Feuer liegen. Trichterfelder draußen und drinnen.
    Alle sind so, nicht wir hier allein – was früher war, gilt nicht, und man weiß es auch wirklich nicht mehr. Die Unterschiede, die Bildung und Erziehung schufen, sind fast verwischt und kaum noch zu erkennen. Sie geben manchmal Vorteile im Ausnutzen einer Situation; aber sie bringen auch Nachteile mit sich, indem sie Hemmungen wachrufen, die erst überwunden werden müssen. Es ist, als ob wir früher einmal Geldstücke verschiedener Länder gewesen wären; man hat sie eingeschmolzen, und alle haben jetzt denselben Prägestempel. Will man Unterschiede erkennen, dann muß man schon genau das Material prüfen. Wir sind Soldaten und erst später auf eine sonderbare und verschämte Weise noch Einzelmenschen.
    Es ist eine große Brüderschaft, die ein Schimmer von dem Kameradentum der Volkslieder, dem Solidaritätsgefühl von Sträflingen und dem verzweifelten Einanderbeistehen von zum Tode Verurteilten seltsam vereinigt zu einer Stufe von Leben, das mitten in der Gefahr, aus der Anspannung und Verlassenheit des Todes sich abhebt und zu einem flüchtigen Mitnehmen der gewonnenen Stunden wird, auf gänzlich unpathetische Weise. Es ist heroisch und banal, wenn man es werten wollte – doch wer will das?
    Es ist darin enthalten, wenn Tjaden bei einem gemeldeten feindlichen Angriff in rasender Hast seine Erbsensuppe mit Speck auslöffelt, weil er ja nicht weiß, ob er in einer Stunde noch lebt. Wir haben lange darüber diskutiert, ob es richtig sei oder nicht. Kat verwirft es, weil er sagt, man müsse mit einem Bauchschuß rechnen, der bei vollem Magen gefährlicher sei als bei leerem.
    Solche Dinge sind Probleme für uns, sie sind uns ernst, und es kann auch nicht anders sein. Das Leben hier an der Grenze des Todes hat eine ungeheuer einfache Linie, es beschränkt sich auf das Notwendigste, alles andere liegt in dumpfem
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