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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition)
Autoren: Kate Rhodes
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verweigerten noch immer den Gehorsam und zuckten nervös in meinem Schoß.
    »Kommen Sie, ich helfe Ihnen rein.«
    Beim Öffnen meiner Tür beugte er sich so dicht über mich, dass er mit den Haaren über meine Lippen strich. Dann stieg er entschlossen aus, packte meinen Oberarm und zog mich auf den Bürgersteig.
    »Danke, aber ich komme auch allein zurecht.«
    »Sie können sich kaum auf den Beinen halten.« Er umklammerte noch immer meinen Arm.
    »Danke, ich bin okay«, wiederholte ich entschieden. »Und auch wenn Sie es vielleicht nicht glauben, kann ich auch alleine Treppen gehen.«
    »Ach, machen Sie doch, was Sie wollen.«
    Erst als er davonschoss, wurde mir bewusst, dass er nicht einmal die Höflichkeit besessen hatte, sich mir vorzustellen.
    Der VW-Bus meines Bruders stand wieder auf meinem Parkplatz auf der anderen Straßenseite, doch es brannte nirgendwo auch nur das allerkleinste Licht. Als schlief er entweder bereits oder wärmte sich irgendwo anders auf.
    Wieder einmal war die Eingangstür von meinem Haus nicht abgesperrt, und ich machte mir in Gedanken eine Notiz, am nächsten Morgen einen Zettel aufzuhängen und darum zu bitten, sie in Zukunft stets geschlossen zu halten.
    Will musste vor kurzem da gewesen sein, denn die Reste meines Brots, ein Stück Käse und seine Klamotten aus dem Trockner waren weg. Ich schenkte mir einen kleinen Brandy ein, und als ich ihn mir in den Hals kippte, stießen meine klappernden Zähne klirrend gegen das Glas.
    Ich suchte einen sicheren Ort, um mich von den Strapazen zu erholen, und legte mich ins Bett, doch auch dort drehten meine Gedanken sich im Kreis, bis ich schließlich einen gedrungenen Mann mit dunklem Haar und einer ständig schlechtgelaunten Miene sah und in einem erschöpften Schlaf versank.
    Irgendwie gelang es mir, das Läuten meines Weckers zu verdrängen, und so wurde ich erst kurz vor acht vom Klingeln des Telefons geweckt. Die Stimme des Anrufers war mir vertraut. Sie wies auf den Besuch einer Reihe teurer Schulen hin und hatte einen eindringlichen Klang.
    »Ich bin’s, Alice.«
    Ich rieb mir die Augen und versuchte, erst mal richtig wach zu werden.
    »Sean.«
    »Ich muss ständig an dich denken. Dir ist ja wohl klar, dass es der reinste Wahnsinn wäre, diese Sache zu beenden, oder nicht?«
    »Hör zu, ich kann jetzt nicht reden, tut mir leid. Du würdest ganz bestimmt nicht glauben, was passiert ist. Es ist so verrückt, dass ich es nicht einmal erklären kann.«
    »Dann also heute Abend nach der Arbeit«, drängte er. »Meine Güte, Alice. Sind alle Seelenklempner so unberechenbar wie du?«
    »Ich denke, dass das, statistisch gesehen, eher unwahrscheinlich ist.«
    »Das kann ich, verdammt noch mal, nur hoffen«, stellte Sean mit einem erstickten Lachen fest.
    Auf dem Weg zur Arbeit fuhr ich extra einen Umweg durch den Redcross Way. Er sah bei Tageslicht nicht im Geringsten furchteinflößend aus. Einfach eine öde Straße ohne Bäume, in der links und rechts eine Reihe hässlicher Bürogebäude stand. Die Gegend war noch immer abgesperrt, aber es war niemand in der Nähe, und so bückte ich mich kurzerhand unter dem Plastikband hindurch. Bänder und künstliche Blumen flatterten am Zaun und schimmerten im winterlichen Sonnenlicht neben einem kleinen Messingschild, auf dem Folgendes geschrieben stand:
    CROSSBONES YARD.
    Auf dem Friedhof Crossbones wurden zwischen dem Mittelalter und der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts über tausend Prostituierte beigesetzt. 1994 wurde der Friedhof TEILWEISE geräumt, um Platz für ein Kraftwerk für die Londoner U-Bahn zu schaffen, aber zahlreiche Anwohner haben sich gegen diesen Beschluss zur Wehr gesetzt und fordern vom Bezirksrat die Anlegung eines Gartens zum Gedenken an die Leben all der hier liegenden Frauen.
    Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um über das Tor zu spähen, aber außer einem Stück schwarzen Asphalts, durch dessen Spalte Brennnesseln und Sommerflieder drängten, gab es nichts zu sehen. Abgesehen von ein paar leeren Chips- und Plastiktüten, die der Wind hereingetragen hatte, und ein paar zerbrochenen Flaschen, die von gelangweilten Teenagern über den Zaun geworfen worden waren, war der Ort so nichtssagend wie eine Eislaufbahn.
    Ich kniff meine Augen zu und versuchte, mir eintausend Frauen vorzustellen, die hier zusammenstanden und mich anstarrten, als plötzlich eine Hand auf meiner Schulter lag.
    »Können Sie nicht lesen?«, fragte eine Polizistin mich empört. »Diese Stelle wurde von
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