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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Autoren: Carmen Lobato
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die Freundin sie an. »Nicht ganz«, sagte sie. »Ich denke, Miguel wird dank Benitos Fürsprache mit einem blauen Auge davonkommen. Aber wenn er in Zukunft nicht mehr Vernunft walten lässt, ist es das, was ihm droht: Die sengende Hitze von Yucatán und die Peitsche der Plantagenbesitzer, die dort unten niemand hindert, ihre Artgenossen schlimmer als Vieh zu behandeln. Und jetzt wechseln wir das Thema, einverstanden? Heute ist Josefas Tag, den sollten wir uns durch nichts verderben lassen. Ich denke, diese Barbacoa ist prächtig gelungen, selbst wenn ihr der Pfeffer fehlt. Was meinst du, machen wir Schwiegermütter uns auf den Weg und verwandeln uns für den Ball in zwei taufrische Rosen des Südens?«
    Katharina lächelte ihr dankbar zu, nahm den Mörser und erhob sich. Auf der Veranda, wo Bar und Büfett aufgebaut werden sollten, hatten die jungen Frauen begonnen Girlanden aus Blumen in den Farben Mexikos aufzuhängen. Sie entdeckte Anavera, die ihrem Vater so ähnlich sah, dass es weh tat, und mit ihrer Base Elena in den hellen Tag lachte. Josefa sah sie nicht. Vermutlich saß sie noch immer im verschlossenen Zimmer der Mädchen und ließ niemanden zu sich. Schon als Kind hatte sie auf diese Weise manchmal für Tage geschmollt. Ich werde noch einmal versuchen mit ihr zu reden, beschloss Katharina. Für Miguel konnte sie jetzt nichts tun, aber Josefa würde sie vielleicht brauchen.
    Außerdem wollte sie ihr an ihrem Geburtstag sagen, wie sehr sie sie liebte – notfalls sogar durch die geschlossene Zimmertür.
    Im Gehen drehte Katharina sich noch einmal vom Haus weg und nach dem Hang, über den ein Pfad in ihr Tal führte. Die Sonne hatte das Gras darauf erbarmungslos zu Stroh gedörrt. Über diesen Hang wäre Benito gekommen, wenn Miguels Verhaftung ihn nicht aufgehalten hätte. Inzwischen verlief eine Eisenbahnlinie bis nach Santiago de Querétaro, doch von dort wäre er wie immer geritten, und Katharina hätte in der Senke gestanden und auf den Hufschlag seines Pferdes gewartet wie unzählige Male zuvor.
    Gleich darauf, als hätte ihr Wunsch ihn beschworen, vernahm sie den ersehnten Hufschlag. »Benito«, entfuhr es ihr. Sie warf den Mörser zu Boden und sprang los, um wie ein Mädchen ihrem Liebsten entgegenzulaufen.
    Martina erwischte ihren Arm und riss sie zurück. »Nur ein Briefbote, Süße«, murmelte sie und wies auf den Jungen mit der Schirmmütze, der auf einem kurzbeinigen Schecken über die Kuppe sprengte. Am Abhang zügelte er das Pferd und hob zum Gruß einen Brief in die Höhe. Katharina kam sich töricht vor.
    Der war vermutlich ein Segenswunsch für Josefa von ihrer weitverzweigten Verwandtschaft, doch ihr Magen krampfte sich zusammen. Als der Junge sein Pferd vor ihnen zum Stillstand brachte, war es Martina, die ihm den Umschlag abnahm. »Er ist für die Señora«, beteuerte er eilfertig und wies auf Katharina. »Er wurde aus Chapultepec nachgeschickt, war bald ein Vierteljahr unterwegs.«
    Martina hielt Katharina den Umschlag hin. Er war groß, aus schwerem Papier gefertigt und mit Amtssiegeln und Schriftsätzen übersät. Chapultepec, hallte es in ihren Ohren. In dem idyllischen Vorort der Hauptstadt, einst einem heiligen Ort der Azteken, hatte sie vor Jahren gelebt. Es war vielleicht die einsamste Zeit ihres Lebens gewesen, und dort, im Schatten der jahrhundertealten Kapokbäume, hatte sie Josefa empfangen. Katharina drehte den Umschlag um und las die halb verwischte Adresse. In den Zeilen erkannte sie nichts als einen einzigen Namen, aber der genügte. Ihr Herz begann ihr dumpf bis in die Kehle zu klopfen. Der Brief war ihr nicht nur aus Chapultepec nachgeschickt worden, sondern kam geradewegs aus ihrer Vergangenheit.
    »Willst du ihn nicht aufmachen?«, fragte Martina. Sie gab dem Jungen einen Peso, und der wendete sein Pferd und ritt davon.
    »Ich will nicht«, erwiderte Katharina mit fremder, tonloser Stimme. »Aber mir wird keine Wahl bleiben.«
    »Von wem ist er denn?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Katharina und riss den Umschlag auf, ohne hinzusehen. »Und ich wünschte, ich bräuchte es nicht zu erfahren.«
    Sie hatte es mit Josefa nie so leicht gehabt wie mit ihren anderen Kindern, sie hatte es nie geschafft, sich so tief und innig auf sie einzulassen, und jetzt erkannte sie den Grund dafür. In ihrem Inneren hatte sie sich beständig vor dem Tag gefürchtet, an dem jemand kommen würde, um ihr Josefa wegzunehmen. Sie hatte sich nicht umsonst gefürchtet. Der Tag war da.

3
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