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Im Tal der Sehnsucht

Im Tal der Sehnsucht

Titel: Im Tal der Sehnsucht
Autoren: Margaret Way
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lag wahrscheinlich daran, dass ich nach Mums Tod so einsam war.“ Sie seufzte leise. „Manchmal höre ich sie rufen, wenn ich am See spazieren gehe.“
    Das überraschte Boyd nicht. Wenn er den kleinen Marmortempel an einer abgelegenen Uferstelle besuchte, hatte er sich auch manchmal eingebildet, seine Mutter zwischen den Säulen zu erkennen.
    „Menschen, die wir geliebt haben, bleiben für immer bei uns“, sagte er leise, um Leona zu trösten. „Das gilt auch für meine Mutter.“
    „Die schöne Alexa. Sie war immer so gut zu mir.“ Leona seufzte wieder, als wäre sie immer noch das kleine traurige Mädchen. „Nach Mums Unfall wollte ich nie mehr auf meinem Pony reiten, bis du mir klarmachtest, dass sie das nicht gewollt hätte. Mum liebte Pferde und ritt für ihr Leben gern. Du hast mich davon überzeugt, dass überall Gefahren lauern, die uns aber nicht davon abhalten dürfen weiterzuleben und unsern Wünschen zu folgen.“
    „Dann war ich wenigstens zu etwas nutze“, stellte er ironisch fest.
    „Ja, das warst du … und bist es noch.“ Sie wurde sich seiner Nähe und der Einsamkeit, die sie beide umgab, immer bewusster. Warum war sie bloß so verkrampft? Warum, um Himmels willen, konnte sie sich nicht entspannen? Weil der Erbe des Blanchard-Vermögens für sie unerreichbar war? Vielleicht sollte sie endlich akzeptieren, dass Boyd und sie in zwei verschiedenen Welten lebten.
    Das Schweigen wurde lastender und vieldeutiger. Irgendwann musste sich die Spannung lösen, die sie immer stärker zueinanderzog. Leona wusste, wie gut Boyd sie kannte – besser als jeder andere. Tränen traten ihr in die Augen.
    Warum konnten sie nicht immer so zusammen sein? Warum konnte sich ihr Verhältnis nicht so entwickeln, wie sie es sich wünschte?
    Nein, das war unmöglich. Die Menschen würden es nicht zulassen, und deshalb verschloss sie ihren sehnlichsten Wunsch tief in ihrem Herzen. Es war so leicht, sich irgendetwas vorzugaukeln, das nie geschehen würde. Die Entfernung zwischen ihr und Boyd war einfach zu groß.
    „Was hältst du von einem Wettritt?“, fragte sie plötzlich. „Bis zur Ruine?“ Dabei handelte es sich um keine echte Ruine, sondern um eine ungewöhnliche Felsformation, die aussah wie eine verfallene Burg.
    „Du kannst mich doch nicht schlagen, Flower Face.“ Boyd richtete sich aus seiner lässigen Haltung auf.
    „Ich will es wenigstens versuchen.“ Sie wendete ihr Pferd und trieb es zum Galopp an. Erschrockene Elstern flogen zeternd auf, und eine Schar wilder Tauben erhob sich in den tiefblauen Himmel.
    Boyd ließ ihr einen kleinen Vorsprung. Leona wusste das und überlegte, ob sie sich durch ihre abrupte Flucht nicht verraten hatte. Warum konnte sie mit ihren Gefühlen nicht besser umgehen? War der frühe Tod ihrer Mutter daran schuld? Oder der Verlust ihres Vaters, der sich vor Kummer ganz in seine eigene Welt zurückgezogen hatte? Delia war nie in die Rolle einer Ersatzmutter hineingewachsen. Sie wurde ja nicht mal mit ihrem eigenen Sohn fertig!
    Leona jagte so schnell dahin, als wären – wie in alten Wildwestfilmen – Indianer oder Banditen hinter ihr her. Wie lange würde es noch dauern, bis Boyd sie eingeholt hatte? Links tauchte ein Gehölz von Pappeln auf, deren Laub sich im Herbst so wunderbar gelb färbte. Rechts standen chinesische Ulmen, die schon im Frühling mit weißlich grünen Flügelfrüchten bedeckt waren. Dahinter erstreckte sich ein Eukalyptuswald.
    Sie wählte den kürzesten Weg zur Ruine, der durch beinahe unberührtes Gelände führte. Als vor ihr eine alte Steinmauer auftauchte, ließ sie sich nicht abschrecken. Die Mauer war von hellgrünen Ranken mit schönen malvenfarbenen Trompetenblüten überzogen. Ein Sprung darüber schien Leona nicht besonders riskant, denn ihre Stute Fatima war geübt im Springen und scheute nie. Und auch sie selbst hatte schon weit höhere Hindernisse überwunden. Ihre Mutter war zwar bei einem ähnlichen Sprung ums Leben gekommen, aber alle hatten bestätigt, dass es ein unglücklicher Unfall und kein Fehler der Reiterin gewesen war.
    Fatima flog buchstäblich über die Mauer. Leona stieß einen hellen Schrei aus, obwohl ihr inzwischen der Atem knapp und die Brust eng wurden. Vor ihr tauchte ihr Ziel auf. Sie hatte gewusst, dass sie Boyd schlagen würde. Was für ein Triumph! Schon bei dem Gedanken jubelte sie innerlich auf.
    Auch Boyd hatte die Mauer gesehen. Als er begriff, dass Leona wirklich springen würde, stockte ihm der Atem.
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