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Im Tal der Giganten

Im Tal der Giganten

Titel: Im Tal der Giganten
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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waren. Aber es
mußte sehr alt sein. Natürlich wurden auch im Jahre 1915
noch Segelschiffe gebaut, aber nicht dieser Art und
wenige von dieser Größe. Mike vermutete, daß es sich um
ein spanisches Goldschiff handelte, das auf seinem Weg
nach Amerika vom Kurs abgekommen und hier gestrandet
war. Und es war nicht das einzige. Nicht weit davon
entfernt ragte das Heck eines weiteren Schiffes aus dem
Nebel, ein gutes Stück daneben die Masten eines anderen
Seglers, die sich wie kahle Äste eines im Wasser
versunkenen Baumes aus der wogenden grauen Masse
herausstreckten, und gestern, als der Himmel einmal kurz
aufgeklart war und sie für wenige Minuten gute Sicht
gehabt hatten, hatten sie in der Entfernung zahlreiche
weitere Umrisse erkennen können. Es war ein wahrer
Schiffsfriedhof, den sie hier vorgefunden hatten. Mike
schätzte die Zahl der Wracks auf mindestes ein Dutzend,
und wahrscheinlich waren es noch weitaus mehr, denn
einige Schiffe mochten an den Riffen zerbrochen und
vollends gesunken sein.
    Um ein Haar wären diese auch der NAUTILUS zum
Verhängnis geworden. Sie hatten sich der Insel unter
Wasser genähert, um dem Sturm zu entgehen, der ihnen in
den letzten Tagen zu einem beständigen Begleiter
geworden war, aber die Sicht war auch dort unten nicht
besser als hier: Als ob sich der Nebel selbst unter der
Wasseroberfläche fortsetzte, war der Ozean von grauen
Schlieren und Schwaden durchsetzt, in denen sie nicht
einmal zwanzig Meter weit sehen konnten. Hätte die
NAUTILUS nicht über die phantastischen Ortungsgeräte
verfügt, die sie jedem anderen Schiff auf der Welt
überlegen machte, wäre sie zweifellos gegen eines der
unsichtbaren Hindernisse geprallt und daran zerschellt.
    Und trotzdem war es zumindest einem Schiff gelungen,
diese tödliche Sperre zu überwinden: Sein Wrack lag, auf
die Seite gestürzt und in zwei unterschiedlich große Teile
zerbrochen, auf dem halbkreisförmigen Eisstrand, den
Mike während der letzten Viertelstunde durch den
Feldstecher beobachtet hatte, und der Funkspruch, den sie
vor drei Tagen aufgefangen hatten, bewies, daß es
zumindest einen Überlebenden gegeben hatte.

»Verzeiht, Herr«, sagte eine Stimme hinter ihm, und
Mike fuhr so erschrocken zusammen, daß er auf dem mit
einem dicken Eispanzer bedeckten Deck fast ausgerutscht
wäre. Er wandte sich um und sah in Singhs Gesicht. Der
Inder Gundha Singh war, neben Trautman,
dem
Steuermann der NAUTILUS, der letzte überlebende
Vertraute von Mikes Vater, und dieser hatte ihm auf dem
Sterbebett den Eid abverlangt, für seinen Sohn zu sorgen
und ihn zu beschützen, so daß Mike, in ihm nicht nur
einen treuen Freund, sondern auch einen Leibwächter,
Diener und ständigen Begleiter gefunden hatte. Er hatte
sich im großen und ganzen daran gewöhnt, und er mochte
den Sikh-Krieger sehr, aber es gab zwei Dinge, an die er
sich wohl nie gewöhnen würde: die lautlose Art Singhs,
sich zu bewegen und manchmal wie aus dem Boden
gewachsen irgendwo aufzutauchen, und seine
Angewohnheit, ihn mit Herr anzureden und sich zu
benehmen, als wäre er sein Sklave. »Trautman schickt
mich«, fuhr Singh fort. »Er bittet Euch, unter Deck zu
kommen. «
    Mike sah wieder zur Eisinsel zurück. Ihr Anblick - und
vor allem der des Wracks, das zerschellt an ihrem Strand
lag
- ließ ihn noch immer nicht los, aber es wurde
tatsächlich Zeit, daß er ins Schiff zurückkehrte. Die
Dämmerung hatte bereits eingesetzt. In einigen Minuten
würde es dunkel werden, so daß er hier oben rein gar
nichts mehr sehen konnte. Und die Kälte begann
unerträglich zu werden. So folgte er Singh zum Turm und
der offenstehenden Einstiegsluke und blieb abrupt mitten
in der Bewegung stehen. »Was ist los?« fragte Singh
alarmiert. Seine rechte Hand hatte sich zur Hüfte gesenkt,
dorthin wo er sonst seinen Säbel trug, eine Waffe, die er
normalerweise nur an Bord des Schiffes ablegte - es sei
denn, er mußte sich wie jetzt in einen Pelzmantel hüllen,
der so dick war, daß er sich darin kaum bewegen konnte.
»Ich weiß nicht«, murmelte Mike. Sein Blick suchte den
Himmel über der Insel ab. Für einen winzigen Moment
hatte er geglaubt, dort eine Bewegung zu erkennen. Aber
jetzt war sie fort. Alles, was er sah, waren Nebel und
weiße Schneeschleier, die der Wind von den Graten der
eisigen Klippen riß.
    »Ich dachte, ich hätte... etwas gesehen. Aber ich muß
mich wohl getäuscht haben. « Singh antwortete nicht, aber
er suchte einige Sekunden sehr
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