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Im Sommer der Sturme

Im Sommer der Sturme

Titel: Im Sommer der Sturme
Autoren: Gantt DeVa
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dir gesagt sein, junge Lady: Ich habe deine Blicke satt – ein für allemal. Du glaubst, dass ich sie nicht sehe, was? Du hältst dich wohl für etwas Besseres? Es wird langsam Zeit, dass du mir mit Respekt begegnest, statt mir mit deiner spitzen Zunge zuzusetzen! Solange du unter meinem Dach lebst, wirst du ohne Widerworte tun, was ich sage. Hörst du?«
    Charmaines Pulsschlag beschleunigte sich. »Ich habe es gehört, Vater, und ich werde tun, was du sagst.«
    Vor Überraschung ebbte sogar sein Zorn ab.
    Charmaine hob das Kinn. »Ich würde sehr gern für die Harringtons arbeiten, falls sie mich haben wollen.«
    »Aber natürlich wollen die dich haben«, sagte John Ryan. »Es sei denn, deine Mutter hat uns nicht die Wahrheit gesagt.«
    Marie überhörte die Bemerkung. »Das kannst du doch nicht machen, Charmaine.«
    »Und warum nicht?«
    »Tja, warum denn nicht, Mutter?«, echote John.
    »Wegen deines Lebens und der Ausbildung in St. Jude …«
    »Welches Leben denn?«, entgegnete Charmaine. »In St. Jude lebe ich nicht, und dies hier kann man wohl kaum als Leben bezeichnen.« Ihr Augen funkelten vor unterdrücktem Schmerz und Zorn, und die hasserfüllten Blicke trafen ihren Vater wie Dolche. »Ich will von hier weg. Und wenn ich bei anständigen Leuten arbeite, muss ich wenigstens nicht länger unter deinem Dach leben!«
    Dieser Ausbruch verpuffte wirkungslos, weil John Ryan längst erreicht hatte, was er wollte.

1
Freitag, 9. September 1836
Richmond, Virginia
    John Duvoisin sah zu, wie sich die Raven langsam vom Anleger entfernte. Als die Schlepper die Leinen lösten, verlor das Schiff plötzlich an Geschwindigkeit und schien einen Moment lang unentschlossen innezuhalten. Im nächsten Augenblick bauschten sich die Segel im Wind, und ein Stöhnen ging durch den Rumpf, als der Bug in die Strömung des James River eintauchte und auf sein Ziel zusteuerte – auf drei kleine Inseln namens Les Charmantes, die in den Gewässern der nordöstlichen Westindischen Inseln lagen. Die Inseln galten gemeinhin als Grundstock des Reichtums der Duvoisins. Für John bedeuteten sie jedoch weit mehr als nur das. Er behielt den Segler fest im Blick, während sein Herz dem gewundenen Lauf des Flusses folgte. Inzwischen war die Raven nur noch so groß wie ein Spielzeug, doch John starrte ihr unverwandt nach, als ob er sich durch bloßes Hinsehen auf ihr Deck versetzen könnte. Eine bittere Enttäuschung hatte ihn am heutigen Morgen daran gehindert, das Schiff zu besteigen – und nun machte er sich Vorwürfe, weil er nichts unternommen hatte. Der Kampf in seinem Inneren erreichte seinen Höhepunkt, als die Raven nach der Flussbiegung außer Sicht geriet. Mit steifen Fingern fuhr er durch sein zerzaustes Haar, als ob die Geste seine Gedanken ordnen könnte, dann drehte er sich um, ohne das geschäftige Leben am Kai überhaupt wahrzunehmen. Er bestieg sein Pferd, trieb es zwischen den Menschen hindurch und ließ die Gedanken an die Raven und die Inseln im Hafen zurück.
    »Wir bewegen uns! Endlich!«, rief Charmaine, während sie durch das Bullauge der kleinen Kabine nach draußen starrte. Mit triumphierendem Lachen drehte sie sich zu Loretta um, die zufrieden auf einem am Boden festgeschraubten Sessel thronte. »Wollen Sie sich das nicht ansehen?«
    »Nein, danke, Liebes.« Loretta lächelte. »Ich verlasse mich darauf, dass das Schiff seinen Weg allein findet, und hoffe, dass mein Magen sich anständig benimmt.« Die Seekrankheit war der einzige Einwand, den sie gegen diese Reise vorzubringen hatte. Aber Charmaine nahm alle Unannehmlichkeiten in Kauf, die während der nächsten vier oder fünf Tage vielleicht auf sie zukamen. Tatkräftig, wie sie war, wandte sich Loretta dem Nächstliegenden zu. »Was hältst du davon, wenn wir dein Vorstellungsgespräch ein wenig üben, Charmaine? Es würde mich außerdem von der Schaukelei ablenken.«
    »Aber ich fühle mich bestens vorbereitet«, antwortete Charmaine. Trotzdem nahm sie den Vorschlag an und setzte sich zu der Frau, die ihr in den letzten Jahren zur zweiten Mutter geworden war …
    Es war fast drei Jahre her, seit die Harringtons sie bei sich aufgenommen hatten. Als Marie Ryan einsehen musste, dass sie ihre Tochter nicht davon abhalten konnte, ihr Elternhaus zu verlassen, redete sie mit den Harringtons. Joshua Harrington mochte das lebhafte Mädchen sofort. In den großen braunen Augen erkannte er eine Willenskraft, wie sie bei Fünfzehnjährigen selten war, und aus ihren Worten
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