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Im Schloss der schlafenden Vampire

Im Schloss der schlafenden Vampire

Titel: Im Schloss der schlafenden Vampire
Autoren: Stefan Wolf
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Julia Lorenz“, nickte
Gastfrey. „Die kennt man inzwischen im ganzen Dorf.“
    Tim half ihm beim Aufhängen der
Tafel.
    Als die Jungs dann das Haus
verließen, galt ihr erster Blick dem Campingplatz drüben. Denn der hatte sich
innerhalb kurzer Zeit beträchtlich gefüllt. Nur noch wenige Stellplätze waren
frei. Auch auf den Dorfstraßen war jetzt Betrieb. Einzelwanderer, Angler und
ganze Familien waren unterwegs. Rucksäcke wurden geschleppt. Ältere Leute
benutzten Teleskopstöcke zur Entlastung der Kniegelenke. Solcherart als
Vierfüßler ausgerüstet, bewegten sich manche so ungeschickt, dass man ihnen
leider anmerkte, wie und wo sie 95 Prozent ihres Lebens verbrachten: sitzend,
am Schreibtisch, im Auto oder Fernsehsessel.
    „Wir suchen einen SXX“, sagte
Tim. „Dschungelgrün, Kennzeichen bekannt. Er kann hier sein. In einer Scheune.
In einer Garage. Oder in näherer Umgebung. Weitere Umgebung scheidet aus. Das
hätte der Kidnapper nicht gewagt, denn theoretisch hätte sofort eine
Hubschrauber-Observierung dieses Gebietes anlaufen können und/oder jeder
verfügbare Streifenwagen der Gegend wäre mit scharfäugigen Beamten
herumgekurvt.“
    „Stattdessen ist aber überhaupt
nichts geschehen“, sagte Karl. „Außer der verspäteteten Benachrichtigung von
Kommissar Glockner.“
    „Richtig. Aber davon konnten
der oder die Täter nicht ausgehen. Nein, der Wagen ist hier irgendwo. Das sagt
mir nicht nur mein Verstand, sondern auch mein Instinkt.“
    „Wo suchen wir?“
    „Überall.“
    Tim zog sich das Schild seiner
Baseballmütze ins Genick und schritt voran.
    „Mein Vorschlag wäre“, sagte
Karl, „dass wir uns mal in dem Schloss-Wäldchen umsehen. Von der
Zubringerstraße zweigen einige Wege ab. Wer einen Straßenkreuzer für ‘ne
gewisse Zeit vom Fenster weg haben will, könnte ihn dort gut verstecken.“
    „Klasse Idee, Karl. Dort sehen
wir uns um.“
    „Ist das dann Feldarbeit?“,
fragte Klößchen.
    „Wie? Was meinst du?“
    „Dauernd wenn von Julias
segensreicher Tätigkeit die Rede ist, höre ich, sie betreibt — Feldarbeit.
Pflügen und ackern ist ja wohl damit nicht gemeint. Was also bedeutet
Feldarbeit eigentlich?“
    „Feldforschung“, erklärte Karl.
    „Aha! Macht mich aber nicht
klüger.“
    „Feldarbeit, Feldforschung —
das bedeutet: Der Wissenschaftler sammelt vor Ort — in diesem Fall auf dem
Dachboden — ganz systematisch alle wissenschaftlich auswertbaren Daten über
sein Aufgabengebiet.“
    „Also zum Beispiel: Wie lange
kann eine Fledermaus mit dem Kopf nach unten hängen, ohne dass ihr schwindelig
wird?“
    „Das trifft es.“
    „Verstehe. Und? Wie lange?“
    „Mindestens einen Winter lang.
Und falls sie dabei wegen mangelnder Raumfeuchtigkeit austrocknet und — im
Schlaf — stirbt, hängt sie dort ewig. Es ist sozusagen ihre angeborene Haltung
— falls sie nicht gerade fliegt.“
    „Die schlafenden Vampire sind
also Kopfstand-Tiere.“
    „Kopfhang-Tiere wäre
treffender.“
    Sie durchquerten das Dorf. Die
Sonne stand schon tief hinter dem See. Aber es würde noch lange hell bleiben.
Sie kamen an der Heymwacht-Villa vorbei, jedenfalls in Sichtweite. Doch dort
rührte sich nichts. Kein Feuer auf dem Dach, kein Polizeiaufgebot, keine
Menschenseele auf dem weitläufigen Gelände, das fast bis zum Waldrand reichte.
    Tim, der voranging, wälzte
quälende Gedanken? Was macht ein Entführer mit zwei kleinen Mädchen?, überlegte
er. Sie könnten ihn beschreiben nach ihrer Rückkehr. Oder — falls es mehrere
Täter sind, könnten sie Angaben machen über Anzahl, Aussehen, Verhalten und
das, was geredet wurde. Kleine Kinder sind oft scharfe Beobachter. Ihr Gehirn
ist noch nicht überfrachtet mit zahllosen Eindrücken und Wahrnehmungen, die
sich im Laufe der Jahre zu unüberschaubarer Menge aufstauen — so dass mancher
Oldie von 92 satt damit ist bis obenhin und sich kaum noch an den Spaziergang
von gestern erinnert. Aber Tina und Lena stecken ja ihre Näschen erst ins Leben
hinein und sammeln Bilder aus demselben. Da hat auch ein Horror-Porträt von dem
oder den Kidnappern noch Platz — gleichwohl es dann später verdrängt wird aus
dem Bewusstsein, weil die Erinnerung zu schrecklich ist. Ja, was machen die
Mistkerle mit den kleinen Zeugen? Fürchten sie die? Oder unterschätzen sie die?
Hoffentlich Letzteres, denn dann steht einer Freilassung aus Sicht der
Kidnapper nichts entgegen.
    Tim schob weitere Gedanken
beiseite.
    Die Jungs waren jetzt auf
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