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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame
Autoren: Joerg Kastner
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ähnlich, nagelte meine eher schmale Hand auf der abgewetzten Tischplatte fest.
    »Kann der feine Herr denn auch bezahlen?«
    Die Frage entströmte, zusammen mit dem beißenden Geruch von Zwiebeln und Knoblauch, dem vor Fett triefenden Maul des wohlbeleibten Gastwirts. Seine zwischen Fleischwülsten fast verschwinden-den Äuglein musterten mich mißtrauisch, und der feste Griff der Bä-
    rentatze tat mir allmählich weh. Gleichwohl verstand ich sein Zögern, einem so abgerissenen, verdreckten Kerl ein opulentes Mahl zu servie-ren. Ich befreite meine Hand von der Last aus Fleisch und Knochen und hielt meine geöffnete Geldkatze unter die Schweinsäuglein. Die leuchteten auf, und der fettige Mund lächelte geschäftsmäßig freundlich.
    »Nur das Beste für Messire!« wies er die Magd an und wollte zu seinem Ausschank zurückkehren.
    Eine klapprige Gestalt schob sich ihm in den Weg und deutete mit dürrem Arm auf mich. »Nehmt das Geld nur, Gevatter Chabert, und lasst damit Eure Beerdigung bezahlen, falls nach dieser Nacht von Euch noch etwas übrig bleibt, das den Weg zum Friedhof der Unschuldigen Kindlein lohnt.«
    »Was soll ich auf dem Friedhof, Gevatter Chiart?«
    »Euch begraben lassen, wenn Ihr das Totengeld nehmt«, krächzte der Dürre und bedachte mich mit einem stechenden Blick, in dem sich Angst und Abscheu mischten. »Ich war in der Nähe der Notre-Dame-Brücke, als ich sah, wie dieser Strolch das Geld vom Geistermönch erhielt, um Seelen für die Dämonen der Dreikönigsnacht zu kaufen.«
    Er sprach laut genug, um Gesang, Gelächter und Gelärm zu übertönen. Alles verstummte, erstarrte und blickte mich entsetzt an. Ich kannte das bereits vom Fluss, wo die Bettler sich beim Erscheinen des Schwarzen ähnlich verhalten hatten. Ein Wort machte die Runde, nur verhalten ausgestoßen, mit Andacht und mit Angst: »Der Geistermönch!«
    Als der Wirt mich aus seinem Haus werfen wollte, versuchte ich ihm zu verdeutlichen, daß Geister kein Geld verschenken. »Sind ganz ge-wöhnliche Münzen hier drin, so gut oder so schlecht wie jeder andere Sol und Turnoser!«
    »Und woher hast du sie?«
    »Ein Mann am Floß schenkte sie mir.«
    »Ein Wohltäter, was? Wie sah er aus?«
    Ich hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Wie sieht einer aus, der eine dunkle Kutte trägt und eine Kapuze über dem Kopf?
    Fragt Ihr nach dem Aussehen eines Mannes, der Euch einen hübschen Batzen Geld vermacht? Mag er aussehen wie Apollo oder wie Hephaistos!«
    »Aber nicht wie der Geistermönch!« kreischte der Wirt, packte mich am Kragen und schleuderte mich vor die Tür. »Verschwinde, sofort, Teufelsbündler, oder ich spreche mit dem Feuerhaken zu dir!«
    So brachte mir der Besuch im ›Hirschen‹ statt der erhofften Sätti-gung die Erkenntnis, daß eine gefüllte Börse nicht mit einem gefüllten Magen gleichzusetzen ist. Um diese wenig tröstliche Weisheit reicher, wankte ich ziellos durch die dunkle Gasse, als ich hinter mir Schritte und ein leises Rufen hörte.
    Ich fuhr herum, drückte mich in die Vertiefung eines Hauseingangs und wollte nach meinem Dolch greifen, bis mir bewußt wurde, daß ich den am Tag nach Weihnachten für Brot und Braten versetzt hatte. Wie es aussah, war eine Waffe auch gar nicht vonnöten. Die offenherzige Magd aus dem ›Hirschen‹ klapperte mir auf hölzernen Schuhen, die sie vor dem Straßendreck schützten, entgegen und preßte etwas gegen ihren wogenden Busen, wie eine junge Mutter, die ihr Kind hält.
    »Was wollt Ihr?« fragte ich barsch, eine neuerliche Schmähung wit-ternd. »Soll ich den Wein bezahlen, den ich nicht getrunken, und die Suppe, die ich nicht gegessen habe? Bedenkt, es ist Dämonengeld!«
    Keuchend blieb sie zwei Schritte vor mir stehen, scheu, wie sie es in der Schenke nicht gewesen war, und streckte mir etwas entgegen: das Weizenbrot. »Man sieht Euch an, wie Ihr hungert, Herr. Nehmt!«
    »Die Nacht ist voller Barmherzigkeit, doch leider hält diese Tugend der Garstigkeit nicht die Waage«, grunzte ich, nahm das Brot und gab ihr einen Sol. Ihre Finger schlossen sich zögernd um das Kupfer, die Geisterangst erlag der Gewinnsucht.
    »Zu essen habe ich jetzt, wenn auch nicht Lamm, Brie und Suppe.
    Sei’s drum, auch Weizenbrot ist gut und teuer und wird meinen Magen füllen. Was mir nun noch fehlt, ist ein warmes Bett für die Nacht.
    Gilt Euer Angebot noch, Aphrodite?«
    »Ihr irrt, Herr, ich heiße Marianne.«
    Sie verriet mir ihren Namen, aber nicht den Weg in ihr Bett. Der
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