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Im Schatten von Montmartre

Im Schatten von Montmartre

Titel: Im Schatten von Montmartre
Autoren: Léo Malet
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wollte nicht beiseite
stehen und mischte sich ein: Sie landete in meinem Kreuz. Im selben Augenblick
explodierte die Kanone, direkt neben meinem Ohr. Bum! Ein ohrenbetäubender
Knall, gefolgt von splitterndem Glas. Ob vor Überraschung oder vor Schreck,
jedenfalls lockerte ich meinen Griff. Die Frau nutzte die Situation aus, um
sich vollständig von mir zu befreien. Bevor ich irgendwie reagieren konnte,
bekam ich einen erstklassigen Schlag auf den Hinterkopf verpaßt, so wie es im
Programm vorgesehen war, nur ein paar Sekunden später...
    Nur ein paar Sekunden später war ich schon weg.
     
    * * *
     
    Als ich wieder zu mir kam, mußte ich feststellen,
daß mich die Kordel eines Morgenmantels an einen Stuhl fesselte. Mein Schädel
dröhnte. Ich warf einen Blick auf meine Umgebung.
    Die Filmrolle lag immer noch in der Ecke, in die
sie gerollt war. Zwei Revolver, einer davon meiner, lagen auf einem Stuhl. Wie
ich schon vermutet hatte, hatte einer der Spiegel durch den Revolverschuß stark
gelitten. Der Boden war mit Splittern übersät. Auch die Puppen hatten was
abgekriegt. Ihr Besitzer richtete sie liebevoll wieder her. Zwar hatte er sich
noch die Zeit genommen, mich sorgfältig an den Stuhl zu fesseln, aber dann war
er wohl sofort zu seinen Lieblingen gestürzt, ohne an seine toupierte
Wolfsperücke zu denken. Bei unserer Balgerei war sie ihm von der glänzenden
Glatze gerutscht. Jetzt lag sie wie ein totes Tier auf dem Boden.
    „Mein lieber Clarimont“, sagte ich, bemüht,
meiner Stimme einen festen Klang zu verleihen, „Sie sollten Ihre Perücke
genausogut befestigen wie in normalen Zeiten Ihr Haarteil. Wilde
Gymnastikübungen bringen sie aus dem Gleichgewicht, und dann läßt sie Sie im
Stich! Ich glaube, ein ähnliches Mißgeschick ist Ihnen schon einmal passiert:
bei Prunier in der Rue des Mariniers.“
    „Ach, Sie weilen wieder unter uns?“ erwiderte
er, nicht sonderlich aus der Fassung gebracht.
    Er ordnete noch ein wenig die Toilette der Dame
im Faltenwurf, zupfte hier ein Fältchen zurecht, arrangierte dort eine
Stoffbahn, trat einen Schritt zurück, um die Wirkung zu überprüfen, und war’s
anscheinend zufrieden. Dann erst kümmerte er sich um sein eigenes Aussehen.
    Wenn ich auch leicht gerupft war, so konnte ich
mich dennoch nicht beklagen. Was mir hier geboten wurde, war eine erstklassige
Travestie-Show!
    Clarimont nahm seine Perücke und setzte sie sich
auf den blanken Schädel. Dann stellte er sich vor einen intakten Spiegel und
machte sich hübsch: Schminke, Lippenstift, der ganze Kosmetikkram! Und das mit
den geschickten, sinnlichen Bewegungen einer Vollblutfrau. Bei unserem
Ringkampf hatten sich seine Nylonstrümpfe verzogen. Er hob sein Kleidchen hoch
und brachte auch das wieder in Ordnung. Als er sein Werk beendet hatte, nahm er
einen Stuhl, rückte ihn hierhin und dorthin, dann wieder hierhin, fand
schließlich den idealen Platz, direkt neben der Wachspuppe mit dem duftigen
Kleid, die er noch ein wenig näher zu sich heranzog. Wenn ich es richtig sah,
dann hatte er sich so hingesetzt, daß er nun das Paar, das sie beide bildeten,
in den Spiegeln betrachten konnte. Zärtlich legte er einen Arm um die Puppe,
schlug seine Beine übereinander und begutachtete wohlgefällig die Spiegelbilder.
    Ein ausgemachter Exhibitionist war er, der
Irrenarzt, der sich selbst zu seinen Patienten zählen konnte! Exhibitionist und
Transvestit, beides zu hundert Prozent und im Quadrat! Es fängt damit an, daß
man Bilder signiert, die man gerne selber gemalt hätte. Dann zieht man sich
Frauenkleider an und posiert in provozierenden Haltungen vor Spiegeln, die das
Bild tausendfach widerspiegeln. Und um die Sache noch spannender zu gestalten,
besorgt man sich kleine, versaute Filme und sieht sie sich zusammen mit
Wachsfiguren an...
    Ich weiß nicht mehr, wie lange das Schweigen,
das zwischen uns herrschte, dauerte. Clarimont brach es schließlich.
    „Man kann sagen, daß Sie neugierig sind, nicht
wahr?“ begann er. „Die Pest wünsch ich dem Idioten Coulon an den Hals! Warum
mußte er mir Sie unbedingt auf drängen? Als Sie eben geläutet haben, war ich
hier in diesem Raum, ganz ruhig, ohne jemandem etwas Böses zu tun. Ich bin
hochgegangen und hab nach draußen gesehen, ohne daß Sie mich sehen konnten.
Wollte wissen, wer mich um diese Uhrzeit störte. Ich hab Sie erkannt, Burma,
aber natürlich hatte ich nicht die Absicht, Ihnen zu öffnen. Ich konnte doch
nicht ahnen, daß Sie hier einbrechen würden! In
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