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Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Titel: Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
Autoren: Bernd Perplies
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Tümpel lag, der von einem Bach, eigentlich nur einem Rinnsal, gespeist wurde.
    Mablo hob die Hand und ging in die Hocke. Er legte seinen Speer neben sich auf den Boden und zog seinen Bogen und den Köcher mit Pfeilen vom Rücken. »Hier bleiben wir.«
    Carya verstand. Statt dem Wild Kilometer um Kilometer nachzulaufen, es zu suchen und womöglich im dichten Wald doch nicht zu finden, war es zweifellos klüger, an Orten auf der Lauer zu liegen, an denen die Tiere höchstwahrscheinlich auftauchen würden: etwa in den frühen Morgenstunden an einem Wasserloch.
    Gemeinsam mit Jonan ließ Carya sich neben Mablo nieder. Auch sie holte ihren Bogen und die Pfeile hervor. Jetzt erst fiel ihr auf, dass die Waffe eindeutig nicht von den Ausgestoßenen hergestellt worden war. Der Bogen fühlte sich zu glatt, zu perfekt an und schien aus einem Material gefertigt, das fester und zugleich biegsamer war als Holz. Carya konnte nur vermuten, dass die Waffe noch aus der Zeit vor dem Sternenfall stammte. Vielleicht handelte es sich um ein Familienerbstück. Damit wäre der Bogen eigentlich viel zu wertvoll gewesen, um ihn einer Anfängerin wie ihr zu überlassen. Andererseits bin ich die Tochter des Himmels , dachte sie nicht ohne einen Anflug von Zynismus. In den Augen dieser Menschen ist das Beste gerade gut genug für mich.
    Die Pfeile dagegen bestanden aus gewöhnlichem Holz. Sie waren mit Vogelfedern befiedert und wiesen eine flache, geschmiedete Metallspitze mit scharfen Kanten auf, dazu gedacht, möglichst glatt Haut und Fleisch zu durchschneiden und dem Tier bei einem Treffer ins Herz oder in die Halsschlagader einen schmerzlosen, schnellen Tod zu bringen. So hatte Mablo es ihr zumindest erklärt, als er ihr das Jagdgerät übergeben hatte.
    Der Anblick der messerscharfen Pfeilspitzen weckte einige unangenehme Erinnerungen in Carya, Erinnerungen an ein Skalpell in der Hand eines sadistischen Mannes, das vor nicht allzu langer Zeit in ihr eigenes Fleisch geschnitten hatte. Inquisitor Loraldi hatte sie in irgendeinem Kellerloch tief unter dem Tribunalpalast unter Drogen gesetzt und gefoltert, um sie dazu zu bringen, mehr über sich, ihre Herkunft und ihre Ziele preiszugeben. Was genau sie ihm verraten hatte, wusste Carya nicht. Viel konnte es nicht gewesen sein. Außer einer Zahlenkombination, die für Koordinaten stehen mochte, und der flüchtigen Vision eines Labors, durch dessen Fenster man die Erdkugel sehen konnte, war ihr über die Zeit vor ihrer Ankunft in Arcadion praktisch nichts bekannt. Sie hoffte, dass sie dem Lux Dei selbst diese wenigen Informationen vorenthalten hatte.
    »He, Carya, pass auf«, sagte Jonan zu ihrer Rechten und holte sie damit aus ihren Gedanken.
    Verwirrt blickte sie ihn an. »Hm?«
    Er deutete mit einem Nicken auf den Pfeil in ihrer Hand. »Diese Dinger sind scharf.«
    Sie senkte den Blick und stellte überrascht fest, dass sie sich am linken Daumen geschnitten hatte. Es war ihr gar nicht aufgefallen. Rasch löste sie die Hand von der Pfeilspitze und steckte den schwach blutenden Daumen in den Mund. »Du hast recht«, nuschelte sie.
    Jonan runzelte die Stirn. »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er.
    Carya nickte. »Ich war nur einen Moment lang in Gedanken.«
    »Nicht gut«, zischte Mablo. Er deutete mit zwei Fingern seiner linken Hand auf seine Augen. »Ihr müsst wach sein, wenn Ihr auf die Jagd geht, Tochter des Himmels. Aufmerksam. Oft habt Ihr nur einen Schuss. Verschlaft Ihr ihn, geht Ihr ohne Beute nach Hause.«
    »Tut mir leid«, erwiderte Carya schuldbewusst. »Ab jetzt passe ich besser auf und …«
    Mablo, der seinen Blick bereits wieder dem Tümpel zugewandt hatte, gebot ihr mit einer Geste, still zu sein. Wortlos deutete er nach vorne.
    Aus dem Unterholz war ein Reh an die Wasserstelle getreten. Scheu sah es nach links und rechts, um sich zu vergewissern, dass keine Gefahr drohte. Dann stakste es langbeinig näher, bis es den Rand des Tümpels erreicht hatte. Es senkte den schlanken Hals und begann zu trinken.
    Der Ausgestoßene deutete auf Caryas Bogen und auf das Tier. Die Aufforderung war eindeutig. Sie sollte ihre Fähigkeiten beweisen. Er hat mich keinen einzigen Probeschuss abfeuern lassen , dachte Carya. Wie kommt er auf den Gedanken, dass ich das überhaupt kann? Die Antwort auf diese Frage war so einfach wie fehlgeleitet: Sie war die Tochter des Himmels. Man musste ihr nichts beibringen, auch wenn sie ausdrücklich gesagt hatte, dass sie vom Jagen wenig
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