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Im Schatten des Drachen

Im Schatten des Drachen

Titel: Im Schatten des Drachen
Autoren: A. Leuning
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ich möchte mit dir leben. Hier in Irland.“
    Er fühlte sich wie im freien Fall, sauste rasend schnell durch dieses furchtbare Schweigen, in dem sie beide schwebten, die tödliche Angst im Nacken, der andere würde nicht rechtzeitig zufassen, um seinen Absturz zu verhindern. Mit wachsendem Entsetzen starrte er in den unbewegten, blauen Spiegel vor sich, dessen Farbton nur eine Nuance verschieden von dem damals war, während die Locken darüber tiefschwarz funkelten.
    In letzter Sekunde, als er fast schon das beißende Salzwasser in seinen Lungen spüren konnte, füllten sich die blauen Augen vor ihm mit dem wärmsten Lächeln, das er je darin gesehen hatte. Paul blinzelte, atmete, strahlte, seine Sommersprossen tanzten glücklich in seinem hellen Gesicht, und seine Hand schnipste übermütig eine seiner vorwitzigen Kringelsträhnen aus der blassen Stirn. Seine pure Freude hüllte Matty ein wie ein riesiger Kokon aus warmer Luft, bremste seinen Höllenflug, fing ihn auf und trieb ihn wieder hoch ans Licht.
    Zum ersten Mal seit unendlich langer Zeit tauchte er wieder auf aus den Strudeln seiner Vergangenheit, sah, hörte, fühlte das Leben in sich und um sich herum, fühlte endlich auch das befreiende Lachen in seiner Brust, das sich zögernd erst, doch dann immer heftiger Bahn brach und schließlich übermütig aus ihm heraussprudelte.
    Noch immer glucksend beugte er sich vor und küsste Paul auf die sehr blassen Lippen. Es war ein langer, intimer Kuss, gefolgt von einer intensiven Umarmung, warm und zärtlich. Sie ließen sich dabei auch nicht durch die Krankenschwester stören, die Pauls Medikamente brachte.
    Matty zwinkerte ihr verschmitzt zu und flüsterte auf Deutsch:
    „Heulen hilft - und Liebe lindert.“
    Aber sie zuckte nur entschuldigend lächelnd  mit den Schultern und ging dann rasch wieder hinaus.

Epilog
     
     
    Heidelberg, 13. Februar 2008
       
     
    Schnee lag auf den Gräbern wie weißer, luftiger Tüll. Am bleigrauen Himmel stand eine mattgelbe Sonne, ohne Wärme und ohne Freude. Unser beider Atem gefror in der glasklaren Luft, während kleine weiße Flöckchen in wildem Tanz um unsere Schultern stoben. Immer wieder lasen meine Augen die Worte auf dem schwarzen Stein vor uns, ohne dass mein Verstand sie zu erfassen schienen:
    „Verlorenes Glück
    Unserem geliebten Sohn
    Marc Frieben
    * 23. März 1978, verunglückt 09. Mai 2002
    In ewiger Liebe“
    Ich war noch nie an Marcs Grab gewesen, kannte weder seine Eltern noch seine Freunde. Ich hatte nicht einmal ihn gekannt. Bei seiner Beerdigung war ich nicht dabei gewesen, aber es war mir, als läge auch ein Teil meines Herzens bei ihm dort unten in der Kälte des gefrorenen Bodens. Mit ihm vereint für die Ewigkeit.
    Paul berührte sanft meinen Arm, eine stumme Aufforderung für das, was zu tun wir beide hierher gekommen waren. Schwerfällig kniete ich nieder und legte drei Rosen auf Marcs Grab. Zwei gelbe und eine weiße. Für einen Augenblick verharrte ich reglos, und nicht einmal Paul würde jemals erfahren, was ich in diesen Momenten tiefster, reinster Trauer dachte.
    Schließlich erhob ich mich und ergriff Pauls warme Hand, verschränkte meine Finger fest mit seinen, wandte mich wieder dem Leben zu, das zu teilen er mit mir bereit war. Schweigend wandten wir uns ab und gingen mit vom Schnee bis zur Lautlosigkeit gedämpften Schritten davon.
    Nach ein paar Metern drehte ich mich doch noch einmal um. Pauls Blick folgte dem meinen zurück aufs Grab. Die weiße Rose war bereits vollständig mit dem konturlosen, zarten Schleier des frisch gefallenen Schnees verschmolzen, und nur die beiden gelben Rosen leuchteten uns noch hell und prall entgegen.
    Eine Ode an das Leben und die Liebe.
       
     
       
     
    Ende

Einige abschließende Worte ...
     
     
    Die meisten Geschichten werden aufgeschrieben, nachdem sie geschehen sind - im Kopf oder in der Realität. Viele Geschichten geschehen beim Schreiben, entwickeln sich dabei und wachsen mit jedem neuen Buchstaben.
    Diese Geschichte jedoch geschah in mir, nachdem ich sie aufgeschrieben hatte. Es ist eine Geschichte über das Gleichgewicht der Dinge, des Körpers und der Seele. Und jetzt, nachdem ich die Geschichte sowohl geschrieben als auch erlebt habe, beginne ich zu ahnen, dass nichts die Dinge so sehr im Gleichgewicht halten kann, wie der Glaube an die Liebe, das Leben und sich selbst.
    Für die vielen medizinischen und praktischen Erläuterungen zum Thema Beinamputation und mögliche
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