Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten der Akazie

Im Schatten der Akazie

Titel: Im Schatten der Akazie
Autoren: Christian Jacq
Vom Netzwerk:
mit Steinen nach dir!«
    Der Blinde zog sich zurück, die Gespräche gingen weiter.
    »Und mir, gebt ihr mir Wasser?«
    Die Frauen drehten sich um und blickten wie gebannt auf den Mann um die Sechzig, der sie angesprochen hatte. An seinem Aussehen war unschwer zu erkennen, daß er eine bedeutende Persönlichkeit sein mußte.
    »Hoher Herr«, sagte Brünette, »wir sind bereit, dir deinen Wunsch zu erfüllen.«
    »Und weshalb habt ihr diesen Unglücklichen zurückgewiesen?«
    »Weil er ein Nichtsnutz ist und uns unablässig behelligt.«
    »Denkt an das Gesetz der Maat: ‹Spottet nicht der Blinden, verhöhnt nicht die Zwerge, tut den Hinkenden kein Leid an, denn wir alle, Gesunde wie Kranke, sind in der Hand Gottes.
    Keiner möge verlassen und ohne Hilfe bleiben.›«
    390

    Beschämt schlugen die Frauen die Augen nieder. Doch Brünette begehrte auf.
    »Wer bist du, daß du in diesem Ton mit uns redest?«
    »Der Pharao von Ägypten.«
    Erschrocken verschanzte Brünette sich hinter ihren Gefährtinnen.
    »Weil ihr diesen Unglücklichen so verächtlich und verachtenswert behandelt, liegt ein böser Zauber auf dem Brunnen von Somenu. Das ist der Schluß, zu dem ich gekommen bin, nachdem ich einige Tage hier zugebracht habe.«
    Brünette verneigte sich tief vor Ramses.
    »Genügt es, unsere Haltung zu ändern, um den Brunnen zu retten?«
    »Ihr habt den Gott beleidigt, der in ihm wohnt, und ich muß ihn besänftigen.«

    Als die riesige Statue des Gottes Sobek, in Menschengestalt und krokodilhäuptig auf einem Thron sitzend, die Werkstätte der Bildhauer verließ, säumten die Bewohner der Stadt dichtgedrängt ihren Weg. Auf Rundhölzern über nassen Boden gezogen, bewegte sich das Bildnis langsam auf den Brunnen zu, an dem Ramses es erwartete. Er sprach selbst die Formeln, mit denen Sobek beschworen werden sollte, aus dem Nun, dem die Erde umgebenden Urmeer, das Wasser aufsteigen zu lassen, dessen die Menschen zum Überleben bedurften.
    Dann befahl der König den Handwerkern, den Gott auf den Grund des Brunnens zu senken, wo er sein lebenswichtiges Werk vollenden würde.
    Bereits tags darauf spendete der Brunnen von Somenu aufs neue das kostbare Naß, und die Bewohner der Stadt hielten ein Festmahl ab, bei dem der Blinde und die Frau des Tischlers 391

    Seite an Seite saßen.
    392

    SECHSUNDFÜNFZIG
    LS SOHN EINES ägyptischen Vaters und einer p
    A hönizischen Mutter blickte Hefat auf eine glanzvolle Laufbahn zurück. Der von Kindheit an fleißige Schüler hatte auch an der höchsten Lehranstalt von Memphis bemerkenswerte Erfolge erzielt und mit seiner Begabung für die Mathematik selbst anspruchsvolle Lehrer verblüfft. So hatte er lange zwischen mehreren Berufen geschwankt, ehe er in das Amt für Wasserkunde eingetreten war, dem die Aufsicht über die Fluten des Nils oblag, von der Vorhersage der Überschwemmung bis hin zu den verschiedenen Verfahren der Bewässerung.
    Im Laufe der Jahre war Hefat zum unverzichtbaren Ratgeber für den Wesir, die höchsten Beamten des Staates und die Vorsteher der Provinzen aufgestiegen. Da er seinen Vorgesetzten geschickt zu schmeicheln verstand, hatte er Stufe um Stufe erklommen und dabei vergessen lassen, daß sein Vorbild einst Chenar gewesen war, der ältere Bruder des Pharaos, der Höfling und Staatsmann mit unbezähmbarem Ehrgeiz, der zum Verräter an seinem Vaterland geworden war.
    Glücklicherweise hatte Hefat Vorsicht walten lassen und es vermieden, offen für Chenar einzutreten, der ein tragisches Ende genommen hatte.
    Als Mann von etwa fünfzig Jahren, voller Tatendrang, verheiratet und Vater zweier Kinder, erweckte Hefat den Eindruck, zufrieden einer Verwaltung vorzustehen, in der er jedes Rädchen mit eiserner Hand steuerte. Wer hätte vermutet, daß er das letzte wichtige Mitglied des Rings einflußreicher Männer war, den Chenar in seinem Bemühen, den Thron zu erobern, aufgebaut hatte?
    Diese Erinnerungen an weit zurückliegende Zeiten hätten in 393

    der Vergangenheit begraben bleiben sollen, wäre der hohe Beamte nicht dem phönizischen Kaufmann Narish begegnet, dessen Vermögen ihn zutiefst beeindruckt hatte. Hefat war zu Bewußtsein gekommen, daß ein Mann seiner Fähigkeiten und Sachkunde gleichfalls sehr reich werden könnte.
    Während er mit dem Phönizier gespeist hatte, waren Hefat die Augen aufgegangen. Ramses würde schon bald siebzig Jahre alt werden und die Herrschaft über das Land an Männer abgeben, die dem Überlieferten verhaftet und nicht imstande
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher