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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit
Autoren: Edward Rutherfurd
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gewesen, die ihn, nachdem er sein Bein verloren hatte, wieder gesund gepflegt und ihn anschließend geheiratet hatte. Soweit Margaretha wusste, hatte er eine einzige Liebschaft gehabt, und das war in seiner Junggesellenzeit gewesen, lange bevor er Judith kennenlernte. Damals hatte es einen kleinen Skandal gegeben. Sie schätzte ihn dafür nur umso mehr. Ohne den kleinen Skandal wäre er vielleicht ein kalvinistischer Geistlicher geworden wie sein Vater, anstatt zur Westindien-Kompanie zu gehen und auf den Meeren sein Glück zu suchen.
    »Und Ihr Mann? Kann ich auf ihn zählen?«
    »Mein Mann?« Wo immer er gerade sein mochte. Hauptsache, nicht in ihrer Nähe, wie es schien.
    Tja, das würde sich schon bald ändern. Während seiner Abwesenheit hatte sie über die Sache nachgedacht und eine Zukunft für ihn entworfen, die weit zufriedenstellender sein würde. Es war ein Glück, dass die niederländischen Sitten den Frauen weit mehr Freiheit – und Macht – einräumten, als ihre Geschlechtsgenossinnen in den meisten anderen Ländern genossen. Und gedankt sollte Gott sein für die niederländischen Eheverträge! Sie hatte ein paar sehr genaue Pläne für Dirk van Dyck parat, wenn er erst wieder nach Hause kam.
    »O ja«, sagte sie. »Er wird tun, was ich sage.«
    »Ich gehe hinunter zum Fort«, sagte Stuyvesant. »Würden Sie mich begleiten?«
    *
    London. Ein strahlender Frühlingstag. Die Themse war ein Wald von Masten. Thomas Master starrte auf das Schiff, das vor ihm festgemacht lag, und versuchte, zu einer Entscheidung zu gelangen.
    In seiner Hand lag der Brief, in dem sein Bruder Eliot ihn vom Tod ihres Vaters unterrichtete. Tom war zu ehrlich, um sich einzureden, er sei darüber traurig. Er war zweiundzwanzig, und jetzt war er frei.
    Also was sollte es werden? England oder Amerika?
    Zu seiner Linken erhob sich, schweigend, verschlossen, die gewaltige graue Masse des Tower of London. Als er einen Blick nach hinten warf, schien das lang gestreckte, hohe Dach der Saint Paul’s Cathedral Missfallen auszudrücken. Aber worüber? Zweifellos über ihn. Nach London war er schließlich mit Schimpf und Schande geschickt worden.
    Dreißig Jahre früher, als Adam Master von der englischen Ostküste und Abigail Eliot aus dem Westland sich in London kennengelernt hatten, waren sich diese zwei ernsthaften jungen Puritaner einig gewesen, dass die Hauptstadt von England ein abscheulicher Ort sei: König Karl I. saß auf dem Thron; er hatte eine französische Katholikin zur Frau und versuchte, England wie ein Despot zu regieren. Und sein Ratgeber William Laud, Erzbischof von Canterbury, war fest entschlossen, alle Engländer zu zwingen, sich den prunkvollen Zeremonien und der hoffärtigen Autorität einer anglikanischen Kirche zu unterwerfen, die sich von der papistischen nur durch den Namen unterschied. Nach ihrer Heirat hatten Adam und Abigail noch ein paar Jahre lang in London ausgeharrt, in der Hoffnung, die Dinge könnten sich zum Besseren wenden. Doch für Puritaner waren nur immer schlimmere Zeiten gekommen. Und so hatten sich Adam und Abigail Master der großen Auswanderungswelle nach Amerika angeschlossen.
    Schon seit zwei Generationen suchten Engländer in Virginia ihr Glück. Zu der Zeit, als im Globe Theatre, am Südufer der Themse, Shakespeares Stücke aufgeführt wurden, rauchte die Hälfte der Bevölkerung Londons in ihren Tonpfeifen Virginiatabak. Doch die Anzahl der Menschen, die tatsächlich nach Virginia ausgewandert waren, blieb vorerst bescheiden. Ein paar Kühne hatten sich nach Massachusetts gewagt; auch andernorts waren Siedlungen entstanden. Aber von einer Auswanderungswelle konnte noch nicht die Rede sein.
    In der zweiten Hälfte von König Karls Regierung allerdings änderte sich die Lage drastisch. Die englischen Puritaner fingen an, das Land zu verlassen. Aus dem Süden, dem Osten, dem Westen kamen sie in Scharen, manchmal einzelne Familien, manchmal ganze Gemeinden, und segelten über den Atlantik. Es verging kaum eine Woche, in der kein Schiff von dem einen oder anderen Hafen aus in See stach. Auf diese Weise verlor König Karl ab Mitte der 1630er-Jahre rund ein Fünfzigstel seiner Untertanen. Gentlemen wie Winthrop, gut situierte junge Männer wie der Theologe John Harvard, Kaufleute und Handwerker, Arbeiter und Prediger mit ihren Frauen und Kindern und Bediensteten – sie alle schifften sich nach Amerika ein, um König Karl und seinem Erzbischof zu entkommen. Dies war die erste wirkliche
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