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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit
Autoren: Edward Rutherfurd
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wussten, was es bedeutete, wenn der Donner sprach: Die Götter, die im untersten der zwölf Himmel wohnten, kämpften gerade, um die Welt vor dem Übel zu beschützen.
    Das Geräusch hallte das Flusstal hinunter und verklang. Bleiche Feder ließ das Amulett wieder aus der Hand gleiten, eine winzige Geste voll Anmut, und schaute auf.
    »Werde ich deine Frau kennenlernen?«
    Dirk van Dyck schnappte leicht nach Luft. Seine Frau Margaretha hatte keine Ahnung, dass er schon so nah war. Er hatte ihr seine Rückkehr nicht angekündigt. Aber konnte er wirklich hoffen, das Mädchen an Land zu bringen und es vor seiner Frau verbergen zu können? Er musste verrückt gewesen sein. Unbeholfen drehte er sich herum und starrte den Fluss hinab. Sie hatten schon das nördliche Ende des schmalen Territoriums namens Manhattan erreicht, und die Tide riss sie mit sich. Zum Umkehren war es jetzt zu spät.
    *
    Margaretha de Groot tat einen langsamen Zug aus der Tonpfeife, die sie zwischen den sinnlichen Lippen hielt, sah den Mann mit dem Holzbein nachdenklich an und fragte sich, wie es wohl wäre, mit ihm zu schlafen.
    Groß gewachsen, straff, entschlossen, mit durchdringenden Augen mochte er zwar grau sein und mittlerweile weit im mittleren Alter, doch immer noch hatte er eine Aura von Unbeugsamkeit. Und sein Holzbein – das war eine Auszeichnung, ein Ausweis seiner Tapferkeit in der Schlacht. Diese Wunde hätte manch einen Mann getötet, nicht aber Pieter Stuyvesant. Er ging die Straße überraschend schnell entlang. Als Margaretha auf das harte, polierte Holz starrte, spürte sie, wie sie leicht erschauderte, doch er sah es nicht.
    Was hielt er wohl von ihr? Sie gefiel ihm, da war sie sich sicher. Sie war eine schöne, vollbusige Frau in den Dreißigern mit einem breiten Gesicht und langen blonden Haaren. Aber sie war nicht fett geworden wie so viele andere ihrer Herkunft. Sie hatte noch immer eine gute Figur und durchaus etwas Wollüstiges an sich. Und was ihre Neigung zu einem gelegentlichen Pfeifchen anging – die meisten Niederländer rauchten Pfeife und ihre Frauen nicht minder.
    Er sah sie, blieb stehen und lächelte.
    »Guten Morgen, Greet.« Greet. Welch vertrauliche Anrede. Wie die meisten Niederländerinnen war Margaretha van Dyck normalerweise unter ihrem Mädchennamen bekannt, Margaretha de Groot; und diese Anrede hatte sie eigentlich von ihm erwartet. Natürlich kannte er sie, seit sie ein junges Mädchen war. Aber trotzdem … Er war doch sonst ein so förmlicher Mensch. Sie errötete fast. »Sie sind noch immer allein?«
    Sie stand vor ihrem Haus, einem typischen niederländischen Stadthaus: einem schlichten rechteckigen Gebäude, zweistöckig, mit hölzernen Seitenwänden und der schmalen Giebelfront, die zur Straße ging. Diese Fassade wies ein hübsches Muster aus schwarzem und gelbem Backstein auf. Ein paar steile Stufen führten zur großen Haustür hinauf, die durch ein Vordach geschützt war. Das war die holländische stoep oder wie man später schrieb: stoop, die Freitreppe. Die Fenster waren nicht groß, aber das Ganze wirkte durch den hohen Stufengiebel, den die Niederländer so sehr liebten, eindrucksvoll, und der Dachfirst war durch eine Wetterfahne bekrönt.
    »Ihr Ehemann ist noch immer auf dem Fluss?«, wiederholte Stuyvesant.
    Sie nickte.
    »Wann kehrt er zurück?«
    »Wer weiß?« Jetzt zuckte sie mit den Schultern. Sie konnte ihrem Mann schwerlich vorwerfen, dass seine Geschäfte ihn nach Norden führten. Der Handel mit Fellen, insbesondere den hochbegehrten Biberfellen, hatte einen solchen Aufschwung genommen, dass die ortsansässigen Indianer ihre Wälder fast leer gejagt hatten. Oft musste Dirk weit ins nördliche Hinterland fahren, um sich seine Ware bei den Irokesen zu beschaffen. Und er war bemerkenswert erfolgreich.
    Aber musste er unbedingt immer so lange fortbleiben? In der ersten Zeit ihrer Ehe hatten seine Reisen lediglich ein paar Wochen gedauert. Nach und nach war die Dauer seiner Abwesenheit immer länger geworden. Wohnte er zu Hause, war er ein guter Ehemann, aufmerksam ihr und liebevoll seinen Kindern gegenüber. Aber sie konnte nicht umhin, sich vernachlässigt zu fühlen. Erst an dem Morgen hatte ihre kleine Tochter sie gefragt, wann ihr Vater denn heimkommen würde. »So bald er nur kann«, hatte sie lächelnd geantwortet. »Darauf kannst du dich verlassen.« Insgeheim fragte sie sich, ob er sie mied oder ob es gar andere Frauen in seinem Leben gab?
    Treue war Margaretha de Groot
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