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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit
Autoren: Edward Rutherfurd
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Instinkt.
    »Bring sie nicht mit nach Hause«, sagte Margaretha ruhig.
    »Natürlich nicht«, hörte er sich selbst sagen.
    Sie hatte es erraten. Er war sich nahezu sicher. Würde sie ihm Vorwürfe machen, wenn er nach Hause kam? Würde sie ihm eine Szene machen? Vielleicht. Aber dann würde er höchstwahrscheinlich alles bestreiten, wodurch sie als die Dumme dastehen würde. Und dazu war sie zu stolz.
    »Schick sie weg«, sagte Margaretha entschieden. »Deine Kinder warten auf dich.« Sie wandte sich ab.
    Er konnte ihr diese Strenge nicht übel nehmen. Ja, er bewunderte sie sogar. Sie betrug sich würdevoll, hielt ihre Familie zusammen. Dann aber sah er Bleiche Feder an.
    Sie starrte noch immer vor sich hin, doch die nackte Erschütterung in ihrem Gesicht sprach Bände. Sie brauchte ihre Worte nicht zu verstehen. Der Ton ihrer Stimmen und ihre Mienen waren klar genug. Die magische Zeit, die er ihr versprochen hatte, verwandelte sich in eine Leidenszeit. Ohne es zu wollen, hatte er sie verraten und gedemütigt. Eine Woge der Reue spülte über ihn hinweg. Er konnte sie nicht so verlassen.
    Margaretha entfernte sich bereits. Mochte er seiner Frau auch Schmerz zugefügt haben – es war nun einmal geschehen. Außerdem war sie eine erwachsene und starke Frau. Während das Mädchen an seiner Seite ein unschuldiges Kind war. Er dachte fieberhaft nach.
    »Ich habe noch Geschäftliches zu erledigen, Greet, wenn die Indianer erst weg sind«, rief er ihr nach. »Ich muss rauf zu Smits Bouwerij. Du weißt noch, ein Viertel der Felle sind für ihn.« Es war die Wahrheit, dass er den Landwirt aufsuchen musste, allerdings hatte er eigentlich nicht vorgehabt, schon heute zu ihm zu reiten. »Sag den Kindern, dass wir uns morgen sehen.«
    »Und wann hast du vor, wieder abzureisen?« Sie hatte sich umgedreht.
    »Abzureisen?« Er lächelte. »Die nächsten paar Monate jedenfalls nicht.«
    Margaretha nickte. War sie besänftigt?
    »Dann bis morgen«, sagte sie.
    Für eine Weile sprachen weder er noch Bleiche Feder ein Wort. Am liebsten hätte er ihr den Arm um die Schultern gelegt, sie getröstet, aber das wagte er nicht. Schweigend schritten sie die Straße entlang, bis das Mädchen fragte: »Das ist deine Frau?«
    »Ja.«
    »Ist sie eine gute Frau?«
    »Ja, das ist sie.«
    Sie schwiegen wieder eine Weile.
    »Wirst du mich jetzt zurückschicken?«
    »Nein.« Er lächelte sie an. »Komm mit mir, meine Tochter«, sagte er.
    *
    Seine Vorbereitungen hatte er in einer knappen Stunde erledigt. Er schickte einen seiner Männer los, sein Pferd zu holen, kaufte einige Lebensmittel und zwei Decken. Nachdem er den Indianern einige Anweisungen erteilt hatte, brachen er und Bleiche Feder auf.
    Die Hauptausfallstraße aus Neu-Amsterdam war ein breiter Fahrweg, der am Marktplatz vor dem Fort begann und nach Westen hinauf bis zum Wall führte. Van Dyck ritt langsam. Bleiche Feder genoss es, an seiner Seite zu gehen. Bald wichen die Holländerhäuser lieblichen Obst- und Blumengärten. Sie erreichten den Wall und verließen die Stadt durch das Tor mit einer steinernen Bastei. Der breite Weg zog sich noch ein paar hundert Ellen weiter geradeaus hin, vorbei an einem Friedhof und einer Mühle. Dann bog die Fahrspur nach rechts ab. Den Ost-Fluss entlang kamen sie an einer kleinen Tabakplantage und einem Sumpf vorbei. Kurz danach war zu ihrer Linken ein großer Teich. Und von dort führte der Fahrweg geradeaus nach Norden bis zum oberen Ende der Insel.
    Die Insel Manhattan war ein seltsames Gebilde: nur ein, zwei Meilen breit, aber dreizehn Meilen lang. Eine Wildnis von Marschen, Wiesen und Wäldern, mit Hügeln und felsigen Auswüchsen gesprenkelt, war sie für die Indianer ein ideales Jagdgebiet gewesen. Ja, der Fahrweg, den sie entlangzogen, war einst ein Indianerpfad gewesen.
    Manates hatten die Indianer geheißen, die einst diese Insel bewohnt hatten. Aber sie waren nur eine von zahllosen Algonkin sprechenden Gruppen gewesen, die in der Region siedelten. In Breukelen etwa, jenseits des Ost-Flusses, lebten die Canarsee-Indianer; auf der anderen Seite der Bucht, in der Nähe des breiten Stück Landes, das die Niederländer Staaten Eylandt nannten, wohnten die Raritan. Folgte man dem großen Fluss nach Norden, traf man auf die Hackensack und die Tappan. Von Anfang an hatten die Weißen erkannt, dass alle diese Menschen schön waren: die Männer hochgewachsen und anmutig, die Frauen mit fein geschnittenen Zügen. Als van Dyck auf das Mädchen
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