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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit
Autoren: Edward Rutherfurd
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erste Begegnung im Lager am Sund, wo ihr Stamm im Sommer immer Muscheln sammelte. Anstelle der sonst üblichen Langhäuser bauten sie Wigwams am Ufer auf. Sie trockneten die Muscheln, kratzten sie aus ihren Schalen, vergruben die Schalen und verwahrten das gedörrte Austern-, Mies- und Klaffmuschelfleisch, um zu einem späteren Zeitpunkt daraus eine Suppe zuzubereiten. Warum hatte ihn gerade diese bestimmte junge Frau so beeindruckt? Weil sie ungebunden war? Vielleicht. Sie war verheiratet gewesen, hatte aber ihren Mann und ihr Kind verloren. Oder war es ein besonderes Leuchten von Neugier in ihren Augen gewesen? Auch das.
    Er war zwei Tage dageblieben, hatte sich einen ganzen Abend lang mit ihr unterhalten. Die Anziehung war wechselseitig; aber seine Geschäfte riefen ihn woandershin, und bis er aufgebrochen war, hatte sich zwischen ihnen nichts weiter abgespielt.
    Eine Woche darauf war er zurückgekommen.
    Erst durch sie hatte er die Indianer kennengelernt und nach und nach begriffen, warum manche der ersten niederländischen Siedler, da sie keine eigenen Frauen hatten, Indianerinnen geheiratet und sich später selbst den eindringlichsten geistlichen Ermahnungen, sich von ihnen zu trennen, widersetzt hatten. Sie war so geschmeidig wie ein wildes Tier, doch wenn er sich müde fühlte oder zornig, war sie so sanft wie eine Taube.
    »Hast du sie sehr geliebt?«
    »Ja. Das habe ich.« Das war die Wahrheit.
    »Und dann habt ihr mich bekommen.«
    Bei ihrem Volk fand sich für solche überzähligen Kinder immer ein Platz in der Sippe der Mutter.
    »Wenn du keine Frau im Handelsposten des Weißen Mannes gehabt hättest, dann hättest du doch meine Mutter geheiratet, nicht?«
    »Natürlich.« Eine Lüge. Aber eine liebevolle.
    »Du bist immer gekommen und hast sie besucht.«
    Bis zu diesem schrecklichen Frühling vor drei Jahren, als er im Dorf angekommen war und erfahren hatte, dass Bleiche Feders Mutter krank sei. »Sie war gestern in der Schwitzhütte«, sagte man ihm, »aber es hat nichts geholfen. Jetzt sind die Medizinmänner bei ihr.«
    Er kannte ihre Bräuche. Selbst wenn er hohes Fieber hatte, zog sich ein Indianer in eine kleine Hütte zurück, die mit glühend heißen Steinen aufgeheizt wurde, bis sie wie ein Backofen war. Dort saß der Kranke, bis er von Schweiß nur so troff, kam dann heraus, sprang in den kalten Fluss, wickelte sich in eine Decke und trocknete sich am Feuer. Oft war die Behandlung erfolgreich. Wenn nicht, gab es dann noch die Medizinmänner, die Kräuterkundigen.
    Als sich van Dyck dem Haus näherte, in dem sie lag, war ein alter Mann herausgekommen. »Jetzt können ihr nur noch die meteinu helfen«, sagte der Alte traurig. Die meteinu besaßen Fähigkeiten, die über die gewöhnlicher Medizinmänner hinausgingen. Sie standen mit der Geisterwelt in Verbindung und kannten die geheimen Zaubersprüche. Wenn nur noch sie ihr helfen konnten, musste sie schon fast im Sterben liegen.
    »Was für eine Krankheit hat sie denn?«, fragte van Dyck.
    »Ein Fieber.« Der alte Mann schien sich nicht sicher zu sein, aber er zog eine Grimasse. »Ihre Haut …« Er schien mit dem Finger Blatternarben anzudeuten.
    Blatternarben. Der Holländer erschauderte vor Angst. Der größte Fluch, den der Weiße Mann nach Amerika gebracht hatte, waren die Seuchen. Grippe, Masern, Windpocken – die weitverbreiteten Krankheiten der Alten Welt, gegen die die Indianer keine Widerstandskräfte besaßen. Ganze Dörfer wurden ausgelöscht. Vielleicht die Hälfte der eingeborenen Bevölkerung war schon dahingerafft worden. Die Malaria war mit den Schiffen der Weißen gekommen und ebenso die Syphilis. Aber der furchtbarste Import waren die Pocken gewesen. Erst das Jahr zuvor hatte diese schreckliche Geißel fast einen ganzen Stamm südlich der Neu-Niederlande ausgerottet und war anschließend sogar in Neu-Amsterdam aufgetaucht.
    Konnten es die Pocken sein?
    Dann hatte er etwas Abscheuliches getan. Er konnte es natürlich erklären. Er musste an sich denken, an seine Frau und seine Kinder, an die braven Menschen von Neu-Amsterdam. Der Pastor hätte ihm gesagt: Bedenke das größere Gut. Demzufolge hätte er also richtig gehandelt, als er damals nach kurzem Zörgern, ohne auch nur kurz zu Bleiche Feder zu gehen, zu seinem Boot zurückgeeilt und losgefahren war, den Fluss hinunter. Aber hätte er nicht warten können, statt wie ein Feigling wegzulaufen? In einem Moment, in dem ihre Familie sich anschickte, sich um sie zu scharen,
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