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Im Paradies deiner Kuesse

Im Paradies deiner Kuesse

Titel: Im Paradies deiner Kuesse
Autoren: Fiona Harper
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Auftritten in unmittelbarer Nähe zu wissen?“
    Nein, eigentlich gar nicht , hätte Allegra am liebsten geantwortet. Im Gegenteil. Ihr Vater ließ ihr kaum Raum zum Atmen. Wie oft hatte sie sich gewünscht, er wäre Bauarbeiter oder Lehrer oder … egal, was! Hauptsache nicht Dirigent. Dann würde er ab und zu hinter der Bühne stehen wie alle anderen Eltern. Vielleicht wäre er sogar stolz auf seine Tochter, anstatt sie pausenlos mit den Augen des Managers und Mentors zu betrachten.
    Doch das ging die Frau natürlich nichts an. Also lächelte Allegra ihr nur noch einmal höflich zu und benutzte ihren fabelhaften Vater als Vorwand, um sich geschickt aus der Affäre zu ziehen.
    Die Medien liebten das berühmte Vater-Tochter-Paar. Der untröstliche Witwer und das elfenhafte Kind, das in die Fußstapfen seiner Mutter trat und ebenfalls Ballerina wurde. Manchmal hasste Allegra ihn dafür, dass er so gern im Rampenlicht stand. Dabei wusste sie ganz genau, dass ihr Vater eigentlich nur vor der Einsamkeit floh. Dass er alles dafür geben würde, um ihre Mutter wieder lebendig zu machen. Doch das ging natürlich nicht, also gab er sich mit dem Nächstbesten zufrieden: mit seiner Tochter, die nun alt genug war, um die Rollen ihrer Mutter zu tanzen.
    Aber nicht heute. Diese Rolle gehört ganz und gar mir, dachte Allegra. Ausnahmsweise würden die Kritiken keine Vergleiche mit ihrer Mutter enthalten.
    Entschlossen bahnte sie sich einen Weg durch die Menschenmenge. Nur mit Mühe gelang es ihr, die ganzen Gratulanten abzuschütteln, die auf ein Wort von ihr warteten. Ja, sie war der Star des Abends. Aber sie wollte sich mit niemandem unterhalten. Weder mit denen, die sie kannte und die sie entweder beneideten oder idealisierten. Noch mit denen, die sie nicht kannte, die zu ihr aufsahen und sie für eine Art magisches Wesen zu halten schienen. Mit einem Talent gesegnet – oder verflucht –, von dem sie nur träumen konnten.
    Gibt es denn niemanden auf dieser Welt, der über die Tutus und Ballettschuhe hinwegsehen kann? Der einfach nur mich sieht?
    Um Allegra herum pulsierte das Leben. Menschen unterhielten sich, lachten ausgelassen und genossen den Augenblick. Sie selbst verspürte gar nichts. Nur eine innere Leere.
    Schließlich hatte sie ihren Vater erreicht. Mit dem Rücken zu ihr lehnte er an der Bar und unterhielt sich mit dem künstlerischen Leiter des Balletts. Gerade wollte sie sich bemerkbar machen, da fiel auf einmal ihr Name. Die Männer schienen nicht besonders glücklich.
    Hatte sie ihre Erwartungen nicht erfüllt? Waren sie enttäuscht von ihr? Panik ergriff sie, schnürte ihr die Luft ab. Schnell tauchte Allegra wieder in der Menge unter. Bahnte sich einen Weg nach draußen, zur Tür hinaus und die schmale Holztreppe hinab ins Foyer. Sie eilte an den Garderoben vorbei und durch die großen Drehtüren hinaus in die Nacht. Auf dem Pflaster von Covent Garden blieb sie stehen.
    Was tue ich hier eigentlich?
    Sie konnte doch nicht einfach weglaufen! Ihr Vater wartete auf sie. Vom Direktor des Royal Opera House, einigen Geldgebern und einem weniger bekannten Mitglied der königlichen Familie einmal ganz zu schweigen. Sie musste zurück.
    Nein, schrie ihr Körper. Es reicht! Sie konnte wirklich nicht mehr. Seit sechs Uhr früh war sie schon auf den Beinen. Die anstrengenden Proben und der aufregende Auftritt hatten sie ausgelaugt. Doch ihr Pflichtgefühl siegte.
    Sie atmete noch einmal tief durch. Dann kehrte sie um. Zurück in die Menschenmenge, vor der sie eben davongerannt war.
    Verschlafen blinzelte Allegra in die Dunkelheit. Dann rollte sie sich auf die Seite und sah auf ihren Radiowecker. Definitiv zu spät, um immer noch wach zu sein! Oder zu früh zum Aufstehen, je nachdem, wie man es betrachtete.
    Aber im Grunde war es ja auch egal. Nach einer großen Premiere hatte sie immer Schlafprobleme – durch die Anspannung vor den Kritiken, die am nächsten Morgen in den Zeitungen erscheinen würden.
    Seufzend tastete sie in der Dunkelheit nach der Fernbedienung. Kurz darauf durchflutete bläuliches Licht das Zimmer. Schnell stellte sie den Fernseher leise. Hoffentlich hatte sie ihren Vater nicht aufgeweckt!
    Lustlos zappte sie durch die Kanäle. Um diese Uhrzeit gab es wirklich überhaupt nichts im Fernsehen. Nur Dauerwerbesendungen und Testbilder. Ärgerlich schaltete sie weiter. Doch dann erstarrte sie plötzlich.
    Dunkle Augen zwinkerten neckend in die Kamera, und ein unwiderstehliches Lächeln brachte ihr Herz
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