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Im Netz der Meister 2

Im Netz der Meister 2

Titel: Im Netz der Meister 2
Autoren: Carla Berling
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auf der Spiegelablage stand, mit einer Handbewegung runter. Scherben, Splitter, Bodylotion auf den Fliesen. Nur das Wick Medinait war stehen geblieben.
    Ihr Kopf sackte nach vorn. Sie sah das Blut an ihren Händen. Kleine Scherben steckten darin. Mit den blutenden Handflächen rieb sie sich so fest über die Unterarme, wie sie konnte.
    Diesen Schmerz konnte sie aushalten, den anderen nicht.
    Warum? Warum? Warum?
    Sie musste aufhören zu denken. Sofort. Sie wollte das nicht mehr aushalten.
    Scheißleben. Scheißmänner. Scheiß-Luka. Warum? Warum? Warum? Sie nahm das Röhrchen Spalttabletten und schüttete sich den Inhalt in den Mund. Zum Kotzen. Bitter. Brechreiz.
    Sie spuckte alles aus, ins Zahnputzglas, und ließ Wasser dazu laufen. Sie rührte mit dem Finger, bis es eine weiße Brühe war, in der krümelige Partikel schwammen. Sie trank sie in einem Zug aus. Sie spülte mit dem Rest Wick Medinait, der noch in der Flasche war, alles runter. Sie ließ sich wieder auf die Knie fallen und kroch. Wollte kriechen. Blieb einfach liegen.
    Sie hörte das Telefon nicht mehr. Sie hörte die Türklingel nicht. Sie hörte das Klopfen und Hämmern nicht, und auch nicht das splitternde Krachen, als die Wohnungstür aufflog und an die Wand knallte.
    Simone spürte die Hand nicht, die ihr den Kopf brutal zurückriss, nicht den Finger, der ihr tief in den Hals gesteckt wurde. Sie schmeckte die bittere Kotze nicht, die ihr aus dem sabbernden Mund floss. Sie sah die Männer nicht, die sie auf einer Trage zum Auto brachten und in der Notaufnahme ablieferten. Sie wollte schreien und sich wehren, als ihr jemand den ekelhaften Schlauch in Mund steckte, ihr in den Hals schob, immer weiter, bis ganz hinunter.
    Kalt. Dick wie ihre Speiseröhre.
    Als das warme Wasser ihren Magen füllte, als sie den Schlauch mit aller Kraft rauswürgen wollte, als sie sich nur lahm winden und alles apathisch abwehren konnte, wusste sie nicht, dass sich in diesen Minuten entschied, ob sie sterben oder leben würde.
    Sie wusste nicht, dass sie auf der Intensivstation lag. Sie sah den Mann nicht, der in einem sterilen, grünen Kittel an ihrem Bett saß. Er hatte sich als ihr Ehemann ausgegeben.
    Er hielt die ganze Zeit ihre Hand und sagte kein Wort.
    Als Simone zum ersten Mal die Augen öffnete, lächelte sie. Sie war froh, dass er da war. Dann schlief sie wieder ein.
    Er nahm sie mit in seine Wohnung. Er duldete keinen Widerspruch.
    Simone war erschöpft. Sie schlief viel, wusste nicht, welcher Tag war, welche Tageszeit, Tag oder Nacht. Wenn sie aufwachte, war er immer in Sichtweite.
    Ihre Hände waren verbunden, die Schnitte hatten schmerzende Wunden hinterlassen. Die Kratzer an ihren Unterarmen heilten langsam. Simone erinnerte sich nicht daran, wie sie entstanden waren.
    Er fütterte sie mit Gemüsebrühe, kam mit süßer Milchsuppe, die sie an Kindheit und Geborgenheit erinnerte. Er schnitt Bananen in kleine Stückchen und schob sie ihr in den Mund. Er kochte Tee, brachte warme Milch mit Honig. Das Schlucken tat ihr weh, der Schlauch hatte ihren Rachen verletzt. Auch daran erinnerte sie sich nicht.
    Er wusch sie behutsam, sparte die verbundenen Hände aus. Sie protestierte nicht. Als sie zur Toilette musste, führte er sie langsam ins Bad. Ihre Knie zitterten. Ihr war schwindelig. Sie klammerte sich an seinen Arm und sah dankbar zu ihm auf.
    Am nächsten Tag ging es schon besser. Trotzdem bestand er darauf, dass sie noch im Bett blieb. Er nahm die Verbände an den Händen ab. Ihre Handflächen waren gelb von Jod.
    Am Abend ließ er ihr ein Bad ein. Es war das natürlichste der Welt, dass er ihr half, in die Wanne zu steigen. Er wusch ihr die Haare, massierte ihre Kopfhaut, ihren Nacken, die Schultern.
    Er hielt ihr ein riesiges, angewärmtes Handtuch hin und wickelte sie hinein. Dann trug er sie zurück ins Bett.
    Später kuschelte Simone sich im Sessel in eine Decke. Lulu und Bubi lagen vor ihren Füßen und schliefen. Maurice saß auf dem Sofa. Er hatte Tee gekocht und die Kanne auf ein Stövchen gestellt. Der Kandis knackte leise in den Tassen, als Maurice ihn mit duftendem Tee übergoss.
    Simone rauchte eine Zigarette, zum ersten Mal seit Tagen. Als sie den Rauch ausblies, sah sie in die Glut und sagte: »Und das will ich auch nicht mehr.«
    »Wenn du zur Therapie gehst, kannst du es gleich mit erledigen.«
    »Genau, ist ein Abwasch«, sagte Simone. Sie lachten. Dann wurde sie wieder ernst: »Ich habe Angst vor der Therapie. Wer weiß, was da alles
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