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Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Titel: Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
Autoren: Emma Temple
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passierte hier während der Winterstürme? Oder gab es in diesem Neuseeland gar keinen Winter wie in seiner Heimat in Wales? Dort regnete und stürmte es monatelang, und der Junge konnte sich nicht vorstellen, dass es irgendwo anders sein könnte – egal, wie heiß es in den letzten Wochen in der Nähe des Äquators gewesen war. Austin holte gerade Luft, um seinen großen Begleiter nach dem Winter zu fragen, als sie gegen zwei bärtige Männer stießen, die quer über die schmale Straße torkelten. Mit glasigen Blicken sahen sie den Neger an. Einer spuckte verächtlich aus.
    »Hast dir wohl den Kleinen zum Spielen mitgebracht, oder?«
    Der Junge spürte, wie sich die schwielige Hand auf seiner Schulter etwas verkrampfte. Er hatte keine Ahnung, wovon diese Männer sprachen. Zum Spielen? Der Matrose aus Afrika war doch viel zu alt zum Spielen …
    »Verschwinde«, knurrte sein Begleiter. Er schien sich um einen ruhigen Ton zu bemühen. »Will nich’ mit euch reden, klar?«
    Die Männer schienen ihn nicht zu verstehen. Mit ihren breiten Schultern versperrten sie ihnen den Weg und hoben drohend die Fäuste.
    Der Neger schüttelte den Kopf. Er sah müde aus. »Bin noch keine hundert Schritte auf festem Boden gegangen. Sucht euch einen anderen …« Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Der Kräftigere der beiden Männer hob seine Fäuste und schlug ohne weitere Vorwarnung zu.
    Der schmale Schiffsjunge machte einen Schritt zurück und versteckte sich hinter seinem Beschützer. Hier konnte er nicht mitmischen. Er sehnte sich nach seiner Hängematte, die direkt in der Nische hinter dem Ofen des Schiffskochs hing. Es roch zwar oft nach ranzigem Fett, aber da störte ihn wenigstens keiner.
    Sein Begleiter seufzte leise und drehte sich halb zu ihm um. »Darum hab ich gesagt, dass du nich’ allein an Land gehen sollst«, erklärte er über seine Schulter hinweg. Um gleichzeitig mit seinem langen Arm dem Angreifer einen gewaltigen Schwinger zu verpassen. »Such dir was in deiner Klasse«, sagte der Neger noch, während er den Schiffsjungen an die Hand nahm und über den Mann hinwegstieg. Der lag am Boden und schüttelte immer noch benommen den Kopf, während Austin und sein Beschützer um die nächste Ecke verschwanden. Sein Freund versuchte zu begreifen, was da eben passiert war. Seinem Gesichtsausdruck nach würde es allerdings noch ein Weilchen dauern, bis ihm aufging, dass sie einem stärkeren Mann begegnet waren. Oder vielleicht auch nur einem Mann, der nüchtern war – und deswegen mit den besseren Reflexen ausgestattet war.
    Das ungleiche Paar von der Electra hatte inzwischen den etwas breiteren Weg erreicht, der wohl so eine Art Hauptstraße von Kororareka darstellte. Der Neger deutete auf eine Kneipe. »Wenn du kein’ Ärger willst, darfst du da nich’ rein. Wird gesoffen, gespielt. Die Mädchen sin’ nett. Wollen dein Geld, aber nett. Du willst es wirklich nich’ versuchen, wie es mit so einer is’?«
    Der Junge sah neugierig zu der Kneipe hin, die ihm sein Begleiter gezeigt hatte. Vor der weit geöffneten Tür standen ein paar Männer mit Bechern in der Hand und lachten laut, während sie sich irgendetwas erzählten. Einer rauchte eine Pfeife, ein anderer kratzte sich gemütlich im Schritt, während er die freie Hand fest um eine Frau gelegt hatte. Sie hatte schon ein paar graue Strähnen im Haar, das wohl einst braun gewesen war – und als sie den Mann anlächelte, sah man, dass ihre Zähne schon lange nicht mehr vollständig waren. Aber ihre Hüften waren rund, und ihre Augen sahen lebendig in die Runde. Auf ihrem Oberarm sah der Schiffsjunge schwarze Schriftzeichen – aber noch bevor er sie sich genauer ansehen konnte, nahm ihn der Neger an die Hand und zog ihn weiter die Straße herunter.
    »Zuerst essen wir was. Da vorne gab es letztes Jahr die besten Pasteten der Welt. Vielleicht …« Er schob eine Tür zu einem kleinen Raum auf, in dem sich die Menschen nur so drängten. An den Tischen war kein einziger Sitzplatz frei, Männer zwängten sich dicht aneinander und riefen ihre Bestellung einer drallen Rothaarigen zu. »Schätzchen, zwei mit Hühnchen und Süßkartoffel. Und ein bisschen Pfeffer extra!«
    »Bist auch so scharf genug!«, grölte ein anderer.
    Der Neger lächelte. »Hier ist alles gleich geblieben seit mei’m letzten Besuch. Warte hier!«
    Damit verschwand er im Gedränge. Er bahnte sich seinen Weg wie ein Lastkahn, die meisten wichen ihm einfach aus. Der Junge drückte sich in
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