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Im Land der Orangenbluten

Im Land der Orangenbluten

Titel: Im Land der Orangenbluten
Autoren: belago
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Julies Bett.
    »Wie ist das denn passiert? Und wo ist Mama?«
    Julie bekam keine Antwort.
    Wenig später trat Dr. Maarten ein. Er lächelte, als er hereinkam, aber seine Stirn lag in tiefen Falten.
    »Na, Juliette, wie ich sehe, bist du wieder bei Kräften.« Er trat an ihre Seite und wandte sich an die Kinderfrau:
    »Marit? Würden Sie uns bitte einen Moment allein lassen?«
    Als Marit das Zimmer verlassen hatte, setzte sich der Arzt auf Julies Bettkante.
    »Wie geht es denn heute?« Er faltete die Hände in seinem Schoß, und Julie sah, wie seine Fingerknöchel vor Anspannung weiß wurden.
    »Ganz gut, Herr Doktor.«
    »Was macht das Bein?«
    »Tut nicht so weh.« Sie sprach tapfer und versuchte, den Doktor anzulächeln. Sein ernstes Gesicht aber ließ ihr Lächeln verlöschen.
    Er nahm ihre Hand in seine Hände. »Juliette, ich muss dir etwas sagen.« Er schien nach den richtigen Worten zu suchen, dann fuhr er leise fort: »Du und deine Eltern, ihr hattet einen schrecklichen Unfall. Deine Eltern waren schwer verletzt«, der Arzt holte tief Luft, »und manchmal sind Verletzungen so schwer, dass sie nicht mehr heilen können.« Er machte eine Pause.
    Plötzlich wurde Julie ganz kalt. Die Worte von Dr. Maarten hallten in ihrem Kopf nach: schrecklicher Unfall ... verletzt ... Ihre Eltern waren schwer verletzt! Aber wo waren sie, sie musste doch zu ihnen, sie ... Ängstlich hob sie den Blick, sah das ernste Gesicht des Arztes und seine dunklen Augen, deren trauriger Blick auf ihr ruhte. Die Erkenntnis traf sie mit voller Wucht, sie spürte, wie eine Woge tiefer Traurigkeit sie durchspülte, so stark und unendlich, dass sie ihr fast die Luft zum Atmen nahm. Dass sie nicht mehr heilen können , hatte er gesagt. »Heißt das, Mama und Papa sind ... tot?«, hörte sie sich fragen. Ihre Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. Ebenso wie die von Dr. Maarten: »Ja, mein Kind.« Dann schwanden ihr die Sinne.
    Die nächsten Tage verbrachte Julie in einem Dämmerzustand zwischen Wachen und Träumen. Immer wieder hoffte sie, die Tür ginge auf, und sie würde in das fröhliche Gesicht ihrer Mutter blicken. Aber das geschah nicht. Julie verfiel in eine stille Melancholie. Sie wusste nicht, wohin mit ihrem Schmerz, konnte nicht einmal weinen. Auch als sie ihr Krankenlager wieder verlassen durfte, besserte sich ihr seelischer Zustand kaum. Das einstmals so fröhlich lachende Kind war schweigsam und still geworden.
    Marit versicherte ihr immer wieder, alles würde gut werden, aber die Abwesenheit ihrer Eltern war allgegenwärtig und fügte Julie fast physische Schmerzen zu. Auch die Hausangestellten, die kündigten und nicht mehr erschienen, und die Möbel, die nach und nach mit weißen Laken abgedeckt wurden, sprachen eine andere Sprache.
    Zuversichtlich versuchte Julie sich einzureden, dass alles beim Alten bleiben würde. Aber in ihren Träumen geschahen schreckliche Dinge: Sie saß allein in dem großen Haus, alles war leer und dunkel, niemand war mehr da. Oder sie fand sich in einem Waisenhaus wieder. Mit ihrer Mutter hatte sie einmal eines besucht und den Kinder dort kleine Geschenke gebracht. Die Kinder haben keine Eltern mehr, die sich um sie kümmern, hatte ihre Mutter ihr erklärt. In ihren Träumen saß sie nun selbst zwischen diesen Kindern.
    Marit gab sich redlich Mühe, den Alltag des Kindes so vertraut wie möglich zu gestalten. Sie verschwieg Julie jedoch, dass ihr Leben langfristig wohl nicht wie gewohnt verlaufen würde. Niemand mochte dieses Thema ansprechen – bis es eines Tages unumgänglich wurde. Zuvor hatte Marit noch versucht, die Feierlichkeiten anlässlich Julies zehntem Geburtstag im September so schön wie möglich zu arrangieren. Einige Mädchen – Kinder aus dem ehemals großen Freundeskreis der Eltern – waren der Einladung gefolgt und hatten versucht, Julie das Leben für einige wenige kostbare Stunden fast normal erscheinen zu lassen. Dann aber musste auch Marit den Tatsachen ins Auge blicken und dem Drängen des Familienanwaltes der Vandenbergs nachgeben. Entscheidungen mussten getroffen werden.
    Da das Erbe der Vandenbergs nicht allein von dem kleinen zehnjährigen Mädchen angetreten werden konnte, oblag es nun ihrem nächsten Verwandten, sich dessen Verwaltung anzunehmen. Und nach Julies Genesung kündigte sich dieser Verwandte schneller an, als allen lieb war.
    Eines Morgens im Oktober herrschte plötzlich rege Betriebsamkeit im Hause Vandenberg. Aus der Küche drang das erste Mal seit dem
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