Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land der Freien

Im Land der Freien

Titel: Im Land der Freien
Autoren: Andreas Altmann
Vom Netzwerk:
oder zur handlichen Smith & Wesson greifen: All das mindert um nichts meine Faszination für Amerika. Träume haben mich seit je gelangweilt. Nichts scheint sensationeller als geplatzte Illusionen und die dahinter verborgene Wirklichkeit.
    Ajit gab das Stichwort: Amerika als Monstrositätenkabinett. » Think big «, das ist das Lieblingsmantra des homo americanus , das Codewort eines außer Rand und Band geratenen Größenwahns. Was nicht big ist, hat keine Existenzberechtigung.
    Schon bei der Sprache fängt es an. Kommt kein einziger Superlativ in einem Hauptsatz vor, stimmt die ganze Konstruktion nicht. Ein rekordloser Satz ist ein sinnloser Satz. Das amerikanische Hirn reagiert nicht auf Nebensätze. So zögerte der Sprecher der Fernsehnachrichten an Bord einen Augenblick, als der Filmbericht eines Pferderennens eingespielt worden war, bei dem mehrere Traber kollidierten. Die Tatsache, dass sich dabei ein paar Jockeys die Schädel eingerannt hatten, war nicht der Grund der Besorgnis. Erst als ihm aus dem Off signalisiert wurde, dass »es sich um den drittgrößten Reiterunfall der letzten zwei Jahre handelt«, entspannten sich seine Züge. Die Meldung stimmte jetzt, ein Superlativ war gefunden, die Gefahr, dass die Zuschauer schon zur Konkurrenz rüberzappten, um dort eine Sensation verpasst zu bekommen, schien für die nächsten Minuten gebannt.
    Um nicht falsch verstanden zu werden: Nichts fürchterlich Mörderisches muss vorkommen, um die amerikanische Psyche zu bewegen. Auch die Bekanntmachung eines Fliegenschisses tut es. Sagen wir, die Veröffentlichung des Vorschusses, den Joan Collins für die Niederlegung ihrer Memoiren von ihrem Verleger erhalten hat. Die Memoiren sind ein Fliegenschiss. Ihr Stil ist ein Fliegenschiss. Nur der Vorschuss ist weltrekordverdächtig, also muss er an die Öffentlichkeit.
    Man darf den Amerikanern alles vorwerfen, nur nicht den Mangel an Unterhaltungswert. Wer durch die Staaten zieht, ohne regelmäßig von Lachkrämpfen traktiert zu werden, dem ist nicht zu helfen. Weinerliche Reiseberichte über Nordamerika, geschrieben von ununterbrochen beleidigten Europäern, gibt es schon genug. Ich habe mir geschworen, mich zu amüsieren. Das wird nicht immer gelingen. Das Heitere wird mich verlassen und ich werde, zerknittert von zuviel Geschmacklosigkeit, anfangen zu schluchzen. Aufrufe zur guten Laune sind eben genauso erfolgreich und flüchtig wie Ermahnungen zur Menschenliebe. Ich weiß es genau: Humor und Wärme werden mich gelegentlich im Stich lassen. Besonders dann, wenn sich die Begegnungen mit den Inhabern vakuumverpackter Kleinhirne häufen. Jeremy sprach es schonungslos aus: » Too many braindead people in Ohio .«
    Nach diesem Satz habe ich zum ersten Mal in diesem Land schallend gelacht, wenn auch noch Meilen über ihm. Denn Jeremy erzählte von der kleinen Bürgerinitiative in seiner Heimatstadt, die ihm das Leben beim Installieren seines 115. Fernsehkanals schwer mache. Die Hirntoten hätten noch immer nicht begriffen, »dass Vielfalt alles ist«.
    Es knallt. Hart schlägt das Fahrwerk der Boeing 767 auf der Piste auf. Heute flog der Copilot nach New York.

IN NEW YORK
    Max Frisch fragte einst: »Warum reisen wir? Auch dies, damit wir Menschen begegnen, die nicht meinen, dass sie uns kennen ein für allemal. Damit wir noch einmal erfahren, was uns in diesem Leben möglich ist. Es ist ohnehin schon wenig genug.«
    Im achten Stock einer großen Bank, mitten in Manhattan, habe ich eine Verabredung mit Masazumi Nakayama. Vor Jahren studierten wir gemeinsam an der New York University. Jedes Mal, wenn wir uns treffen, hat er meine Schwachstellen wieder vergessen. Bei ihm bin ich neu, er ist gnadenlos japanisch, schlachtet mich sofort mit seiner Großzügigkeit, lässt keinen Augenblick ungenutzt, damit ich das Konto meiner Schuldgefühle ein weiteres Mal überziehe.
    Der Vierundvierzigjährige hat einen erstaunlichen Lebenslauf hinter sich. Für ostasiatische Verhältnisse – Stichwort Familienbande und Tradition – geradezu revolutionär. Im Jahr 1982 heiratete er auf Hawaii. Die Eltern blieben fern. Die Schwiegertochter tauge nichts, sagte der Vater, sie habe nichts zu bieten. Masazumi – Freunde dürfen ihn » pumpkin « nennen, so kürbisrund ist sein Gesicht – verließ Nagasaki. Allein die physische Nähe des Vaters deprimierte ihn.
    Ein paar Monate später brach der nackte Hass aus, kälteste Zeiten nahten: Masazumis Mutter starb, der Vater verbot Masazumis Frau, an
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher