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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman
Autoren: Carla Federico
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Jule sie ruppig. »Deswegen wollte ich auch nicht mit dir allein sein.«
    »Aber …«
    »Ich möchte dir vielmehr eine Frage stellen: Warst du es?«
    Annelies Lächeln erstarb. Verwundert riss sie ihre Augen auf. »Was war ich?«
    Obwohl das Atmen ihr schwerfiel, stieß Jule einen Laut aus, der wie ein Kichern klang. »Ich will wissen, ob du Greta eins übergezogen hast?«
    Annelie starrte verlegen auf ihre Hände, ehe sie sich fing und ein entrüstetes »Wie kommst du nur darauf?« ausstieß.
    Wieder ertönte das Kichern. »Also warst du’s!«, stellte Jule zufrieden fest. »Weißt du, ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht …«
    »Jule!«
    »Ja doch, ich weiß, du hast es nicht geplant … hast eigentlich nur mit ihr reden wollen. Aber dann hat sich diese Hexe vor dir aufgebaut und dir erklärt, dass Cornelius immer ihr gehören wird, niemals Elisa; dass sich Elisa zum Teufel scheren solle und sie, solange Greta lebte, niemals ihr Glück finden würde. Und da ist dein Temperament mit dir durchgegangen. Wahrscheinlich dachtest du, du wärst es Elisa schuldig …« Ihre Worte gingen in heftiges Husten über. Mühsam schöpfte Jule nach Atem.
    Annelie stützte hilfsbereit ihren Kopf. »Du sollst dich nicht aufregen!«, rief sie streng.
    Jule hustete ein letztes Mal, dann sank sie auf das Kissen zurück. Ihre Stirn war von kaltem Schweiß bedeckt. »Ich rege mich nicht auf«, erklärte sie knapp. »Ich wollte nur die Bestätigung für das, was ich vermutet habe.«
    »Ich hab’s aber nicht zugegeben.«
    »Musst du auch nicht.« Stille senkte sich für kurze Zeit über sie, in der nur Jules Atemzüge zu hören waren. »Ich hab dir gar nicht zugetraut, dass du so stark bist«, presste sie heiser hervor. »Ich hab dir eigentlich nie viel zugetraut. Aber du hast dich anständig gemausert.«
    Annelie schüttelte den Kopf. »Du sprichst ja im Fieber!«
    »Ich habe kein Fieber, nur ein schwaches Herz! Tja, auch wenn du aussiehst, als wärst du eines dieser Weibsbilder, die vom Leben verzärtelt werden wollen, anstatt es selbst kräftig anzufassen, könntest du meine Tochter sein.«
    Sie drückte ein letztes Mal Annelies Hand, um sie dann loszulassen. Annelie stiegen Tränen in die Augen, und sie wandte ihr Gesicht ab, damit Jule sie nicht sehen konnte. Nie hatte Jule ihr deutlicher zu verstehen gegeben, dass sie sie aufrichtig mochte.
    »Deine leiblichen Töchter«, setzte Annelie an, »hast du oft an sie gedacht? Hast du es jemals bereut, dass du sie einfach zurückgelassen hast?«
    Jule drehte ihren Kopf zur Seite. Eine dünne, graue Strähne fiel ihr ins Gesicht. »Es war nicht so, dass ich sie nicht liebte. Ich konnte eben nicht viel mit ihnen anfangen. Und mit meinem Mann noch weniger. Als ich damals ging – weißt du: Ich tat das für mich … nicht gegen sie. Es kam zwar dasselbe dabei raus, aber ich hoffe inständig, dass sie glücklich geworden sind. Oder vielmehr hoffe ich, dass sie dasselbe sagen können wie ich: dass sie ihr Leben gelebt haben, nur das ihre.«
    Ihre Worte kamen immer langsamer, am Ende erstarb ihre Stimme. Sie schloss die Augen, und als Annelie ihr die graue Strähne aus dem Gesicht strich, schien Jule es gar nicht mehr zu bemerken.
    Annelie wusste nicht, wie lange sie an Jules Bett saß. Zeit wurde unwichtig; das Gemurmel von draußen drang nicht länger bis zu ihren Ohren. Sie bemerkte nicht einmal, wie die Dämmerung ihre Fäden spann und das letzte Tageslicht verschluckte. Alles in ihr war darauf ausgerichtet, Jules Atemzüge zu belauschen, die immer langsamer wurden, immer leiser – und schließlich endgültig verstummten.

45. KAPITEL
    I nnerhalb weniger Tage fand ein zweites Begräbnis statt, doch dieses verlief ganz anders als das von Greta. Der Rauch hing immer noch beißend über ihnen – der Wind vom See hatte ihn in all der Zeit nicht vertreiben können –, aber die Menschen standen nicht verlegen, stumm und insgeheim erleichtert vor dem offenen Grab. Stattdessen zeigte man echte Trauer und hielt viele Reden. Gerade die Jüngeren unter ihnen hatten zwar immer Angst vor Jules schroffer Art gehabt. Doch dem tiefen Respekt vor ihr hatte das nichts anhaben können – Respekt vor einer Frau, die zu den ersten Siedlern gehört hatte, die manche Krankheit und Verletzung hatte heilen können und die schließlich inmitten der Wildnis eine Schule gegründet hatte.
    Ohne Zweifel war sie eine merkwürdige Frau gewesen, die so ganz anders lebte und sprach und sich verhielt,
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